wortwechsel: Wenn sich die eigenen Abgründe auftun
Ist die Nachkriegsgeneration unvermeidlich unter verdeckten Antisemiten aufgewachsen? taz-Leser bleiben verunsichert zurück. Auch Männer pflegen Angehörige zu Hause

Israel
„Solidarität heißt: sich den eigenen Abgründen stellen“, wochentaz vom 24.– 30. 5. 25
Die Autorin verstehe ich so, dass sie denjenigen, die mit Palästinerser*innen solidarisch sind, empfiehlt, sich mit den eigenen Motiven zu befassen, in die eigenen Abgründe zu schauen. Ich lese es als Aufforderung, dass sie sich lieber mit sich selbst beschäftigen sollen statt mit Gaza. Die grauenhaften Zustände in Gaza, die im Gange befindliche Vernichtung sämtlicher Lebensgrundlagen dort und die Vorbereitung der gewaltsamen Vertreibung der Menschen, das klingt bei ihr zumindest an.
Mich beunruhigt weniger die Frage, warum Menschen sich darüber empören, als die Frage, warum unsere politische Elite mit diesem Vorgehen Israels uneingeschränkt solidarisch ist. Ich finde es äußerst beunruhigend, wenn ein Bundeskanzler, der sich erst von Journalisten über das Ausmaß des NS-Engagements des Großvaters aufklären lassen muss, zugleich alles tut, um die israelische Führung vor Rechenschaft für ihre Taten zu bewahren.
Die Verbindung von verdrängtem oder übertünchtem Antisemitismus und Israelbegeisterung, die in Deutschland bereits Anfang der 1950er Jahre einsetzte, sollte alle zutiefst beunruhigen, denen jüdisches Leben in Deutschland etwas bedeutet.
Albrecht Ansohn, Potsdam
Selbstreflexion
„Solidarität heißt: sich den eigenen Abgründen stellen“,
wochentaz vom 24.–30. 5. 25
Über die flächendeckende Zerstörung von Gaza kann man lange diskutieren.
Aber ich stimme zu, dass das nicht ohne Selbstrefektion geht. Wenn ich innerhalb meiner Nachkriegsgeneration anspreche, dass wir zwangsläufig antisemitische Vorurteile haben müssen, weil wir unter verdeckten Antisemiten aufgewachsen sind, stoße ich regelmäßig auf Unverständnis und Widerspruch.
Wondraschek auf taz.de
@Wondraschek:
Die eigene Selbstreflexion – beispielhaft angeführt mit der Debatte über die NS-Verstrickung des Großvaters unseres Kanzlers und dessen unreflektiert-abwehrenden Reaktionen darauf – und der politische Streit über das Vorgehen Israels gegenüber den Palästinensern sind aber zunächst zwei unterschiedliche Felder.
Verwoben sind sie aber dann doch durch die die Frage nach der deutschen Schuld/Verantwortung und den Diskurs über Staatsraison. Insofern liegt die Autorin auch absolut richtig. Außerhalb Deutschlands mag man deshalb ja durchaus anders und „unbefangener“ mit dem Thema umgehen – niemand in Europa und der Welt kann verpflichtet werden, sich die deutsche Perspektive auf Israel anzueignen, aber man kann von Deutschland auch nicht erwarten, ausgerechnet in der ersten Reihe der Israel-Boykotteure zu stehen. Abdurchdiemitte auf taz.de
Wichtiger Artikel
„Sie lassen sich nicht brechen“,
wochentaz vom 17.–23. 5. 25
Eine erschütternde Reportage – aber dennoch hervorragend recherchiert und berichtet! Auch andere Medien haben berichtet – seriöse und weniger seriöse: zum Beispiel die Bild-Zeitung. Der Artikel ist angereichert mit einen Foto des Täters aus dem Gerichtssal (eine Gesichtshälfte erkennbar).
Dass Bild seinen Beitrag geleistet hat und den Namen „Supervater“ dabei begründet hat, verschweigt das Blatt. Auch andere haben berichtet, nehmen im Gegensatz zu Euch aber nur auf die Taten und den Täter, das Urteil Bezug. Kein Wort zu den den Kindern, der unsäglichen Vorgeschichte. Wichtiger als die Opfer ist diesen Medien, dass der Vater sich bei den Kindern entschuldigt hat. Lediglich die Freie Presse bezieht den Lügendetektorskandal ein – allerdings befindet sich der ganze Artikel hinter einer Zahlschranke. Danke jedenfalls für diese Arbeit – sie ist so wichtig!
Matthias Wonde, Aldingen
Opferbegriff
„Sie lassen sich nicht brechen“,
wochentaz vom 17.–23. 5. 25
Wenn auch nicht annähernd in diesem Maße, selbst Erlebtes kommt wieder hoch: schwer zu ertragende Berichterstattung; keine Ahnung, wie die Wirkung auf Unbetroffene sein kann – den Begriff „Opfer“ lehne ich ab, da er mir (!) nur Ohnmacht suggeriert.
Dennoch absolut notwenig, von solchen Geschichten zu berichten: hierfür in der Abwägung von Teilnahme und Sachlichkeit mein Chapeau. Vidocq auf taz.de
Entlohnung
„So bleibt es wieder an den Frauen hängen“, wochentaz vom 24.–30. 5. 25
Es droht nicht, wie Sie vermuten, dass „Familienangehörige zu Pflegekräften mutieren“ sollen, sondern das sind sie längst. Neu ist die Idee, dass sie dafür Geld bekommen sollen. Je nach der Schwere der Pflegebedürftigkeit werden von den pflegenden Angehörigen dafür täglich zwischen einer und mehr als sieben Stunden aufgewendet. Um das leisten zu können, wird oftmals die eigene Berufstätigkeit eingeschränkt oder ganz aufgegeben mit den entsprechenden ökonomischen Folgen: Aufgabe der finanziellen Unabhängigkeit und Einbußen bei der späteren Rente. Die professionelle Pflege leidet unter erheblichen Personalproblemen und muss immer öfter Heimplätze unbesetzt lassen. Das wird sich auch absehbar nicht bessern, denn die Boomer gehen in Rente und Nachwuchs steht im erforderlichen Ausmaß nicht zur Verfügung. Insofern läuft auch Ihr Vorschlag für ein frei verfügbares Pflegegeld, mit dem man sich professionelle Pflege kaufen kann, ins Leere. Daher hat der Vorschlag, diejenigen, die eh die Pflegearbeit leisten, wenigstens dafür zu bezahlen, durchaus seine Berechtigung.
Barbara Heidrich, Hannover
Menschenbild
„So bleibt es wieder an den Frauen hängen“, wochentaz vom 24.–30. 5. 25
Ich bin auch ein pflegender Angehöriger, ganz recht, ein Mann. Und ich finde diese schwach verhohlene Parteinahme für Frauen einfach unterkomplex. Was wäre falsch daran, das emanzipierte Menschenbild auch an dieser Stelle einfach mal zu leben? Das würde bedeuten, nicht immer nur auf Männer & Frauen abzustellen, sondern von „Menschen in Lebenslagen“ zu sprechen. Das gilt für den gesamten politischen Bereich, auch was Fragen von Förderungen angeht. Damit würde niemand vergessen. Dann kann man trotzdem noch auf statistische Schieflagen hinweisen. Was die Autorin macht, verfolgt erkennbar das Ziel, gezielt Frauen zu „pushen“ (und eben nicht Menschen in Lebenslagen). Einfach-Jemand auf taz.de
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