piwik no script img

wortwechselEhre den Überlebenden, den Toten – für einen Tag?

Der Bundestag hat mit großer Mehrheit den 15. Juni als „nationalen Veteranentag“ installiert. Nur eine logische Folge der „Zeitenwende“ und der neuen deutschen „Kriegstüchtigkeit“?

Panzer geparkt, Ertüchtigung im Wald. Das Bild zeigt Bundeswehrsoldaten im Jahr 1988. Passt auch für die andere große Zeitenwende: Die „Fahrradkompanie“ im Klimawandel  Foto: Foto:  imago

„Einführung eines Veteranentages: Ordentliche Rituale. Bundeswehrangehörige bringen oft große Opfer. Nicht verwunderlich, dass sie sich Anerkennung wünschen. Die sollten sie auch kriegen“, taz vom 25. 4. 24

Wäre ich Soldat, fände ich es vermutlich wichtiger, dass der Staat dafür sorgt, dass ich in funktionierender Ausrüstung an die Front geschickt werde und in Einsätze, die nicht in erster Linie den wirtschaftlichen Interessen von wenigen Reichen und Mächtigen dienen. Zuneigung von Zi­vi­lis­t:in­nen wegen meines Berufs erschiene mir nebensächlich und vor allem unrealistisch. Davon abgesehen finde ich es immer erstaunlich, dass über das Opfer, dass Sol­da­t:in­nen im Zweifel andere Menschen töten müssen, nie geredet wird. Aus Respekt für meine Mit­bür­ge­r:in­nen in Uniform möchte ich gerne darauf hinwirken, dass auch von ihnen kei­ne:r dieses Opfer sinnlos erbringt. Die Geschichte zeigt leider, dass Militär nur selten ausschließlich (!) der Verteidigung gegen Angriffe von außen dient. Sollte es mit dem Veteran:innen-Gedenktag gelingen, darüber eine öffentliche Debatte anzustoßen, dann bitte! Zangler auf taz.de

„Bundestag beschließt „Veteranentag“: Werbung für die „Kriegstüchtigkeit“,

taz vom 26. 4. 24

Das Letzte, was dieses Land braucht, ist eine Remilitarisierung und das Schüren von Kriegsbegeisterung. Dieser Gedenktag ist nur ein weiterer Schritt bei diesem Dressurakt. UVW auf taz.de

Ehre, wem Ehre gebührt?

Warum werden die Soldaten der DDR-Armee NVA, die wie ich als Wehrpflichtige ebenfalls ohne oder gegen ihren Willen zwangsrekrutiert wurden und Schäden erlitten, nicht in den Kreis der Veteranen aufgenommen? Während eines Manövers erlitten ich und mehrere Kameraden mittelschwere Verletzungen, ein Kamerad kam ums Leben. Ehrungen gab es nicht, schlimmer noch: Über den Vorfall wurde strikte Geheimhaltung verordnet.

Pfanni auf taz.de

Geehrte Damen und Herren des Bundestags, Gedenken ist immer gut. Sie sollten aber nicht die Gleichheit vergessen und neue Ungerechtigkeiten schaffen. Als ehemalige Ersatzdienstleistende für 18 Monate als Pfleger in der Psychiatrie in den 60er Jahren (Aufnahme „Unruhigenstation“) haben auch wir „Respekt für unsere Leistung verdient“. Uns sind keine unmittelbaren körperlichen Beeinträchtigungen entstanden, aber vielfache Traumata, psychische Belastungen und lebenslange Erinnerungen. Deshalb beantragen wir auch einen Veteranentag für Ersatzdienstleistende. Jochen Stankowski (und Peter Grohmann), Dresden

„Kriegsdienstverweigerer als Veteran: Der Unveteran“, taz vom 26. 4. 24

„… nichts Neues“

Am 15. Juni sollte man als Pflichtbesuch den Film „Im Westen nichts Neues“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque zeigen und jedem einen Fotoband mit den entstellten Toten der Weltkriege verordnen. Der 15. Juni wäre ein prima Tag für die Friedensbewegung, um zu zeigen, was man von der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft hält.

Volker Bissinger

Auch ich, obwohl im Grunde meines Herzens Pazifist, habe damals während des Kalten Krieges meinen Wehrdienst abgeleistet, weil ich es richtig und wichtig fand, dass die BRD nach außen wehrhaft, aber nicht militaristisch auftritt, um einen Krieg zu vermeiden. Wir haben bei 20 Grad Minus im Harz Wintercamping gemacht und die Russen abgehört. Alle hatten Angst. Auch die Offiziere. Es gab Ausgangssperren, und keiner wusste, ob wir nicht schon morgen gen Zonengrenze in einen beginnenden Krieg ziehen und vielleicht auch auf Verwandte würden schießen müssen. Ich weiß genau, dass damals viele der Zivildienstleistenden ganz unedel auf den bekanntermaßen Scheiß-Job beim Bund ganz einfach nur keinen Bock hatten und genau wussten, dass der Zivildienst in aller Regel die sehr viel angenehmere Nummer für sie werden würde, für die sie im Falle des Falles auch nicht ihr Leben würden riskieren müssen. Und genau deshalb haben sie zwar nicht den Kriegsdienst, wohl aber den Wehrdienst verweigert. Und genau deshalb verstehe ich auch sehr gut, dass es vollkommen zu Recht keine Initiative für einen dem Veteranentag vergleichbaren Zivildienstleistendentag gibt. Wer bereit ist, als Soldat sein Leben realiter und bewusst für den Erhalt von Freiheit und Demokratie unseres Landes einzusetzen, hat es wahrlich verdient, dass es zumindest einen Tag im Jahr gibt, wo dies von der Gesellschaft gewürdigt wird.

Matthias Roth

Den Vorschlag einer öffentlichen „Veteranenabzeichenverbrennung“ erinnert mich an die öffentliche Verbrennung von Abzeichen und Orden, die Veteranen des Vietnamkrieges seinerzeit vor dem Pentagon und dem Weißen Haus veranstalteten, um gegen den Krieg zu protestieren und sein Ende zu beschleunigen. Beate Ziegs

Ein anderes Gedenken

Ratzfatz. Das ging schnell. Kaum war die Idee geboren, dass die Bundesrepublik einen „Veteranentag“ braucht, hat der Deutsche Bundestag dies am 25. April 2024 mit großer Mehrheit beschlossen. Dabei ist ein anderer „Gedenkbeschluss“ schon seit langem überfällig: ein nationaler Gedenktag am 18. März als „Tag der Märzrevolution“ in Erinnerung an die demokratische Revolution von 1848. An diesem Tag haben mutige Menschen für die Demokratie in Deutschland gekämpft und sind auch dafür gestorben. Darüber hinaus war die Märzrevolution Teil einer europaweiten Bewegung gegen Fürstenwillkür und für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. An diese Tradition muss erinnert werden. Die Forderung nach dem „Tag der Märzrevolution“ wird parteiübergreifend von vielen Menschen aus allen Teilen Deutschlands, aus allen Konfessionen und Berufen unterstützt, auch von zahlreichen Bundestagsabgeordneten. Jürgen Karwelat, Mitglied der Aktion 18. März und der Berliner Geschichtswerkstatt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen