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wortwechselWenn die Gesellschaft dich freundlich legal entsorgt

„Das Ende aller Sorgen“ wird der Tod manchmal genannt. Was droht uns, wenn moderne Gesellschaften diese poetische Hoffnung ummünzen – in eine „Entsorgung“ des Leidens?

„Zwei Sorten Tod. Eine Liberalisierung der Sterbehilfe ist kein Akt der Humanität, sondern eine Gefahr. Denn unserer Gesellschaft ist nicht das Überleben aller ihrer Mitglieder wichtig“,

taz vom 9. 8. 23

Heuchler der „Freiheit“?

Der Titel bringt es auf den Punkt: es gibt zwei Sorten Tod. Die eine, der körperliche Tod, bereitet unserem Gesundheitssystem keine Probleme: ex und hopp. Die andere Sorte Tod bringt dafür umso mehr Fragen: wie soll Menschen geholfen werden, deren Lebensumstände so miserabel (geworden) sind, dass sie nicht mehr weiterleben wollen?

Unsere gegenwärtige Gesetzeslage behindert diese Menschen dabei, ihre Entscheidung umzusetzen. Das zeigt zum Beispiel die Steigerung um 1000 Prozent bei assistiertem Suizid in Kanada nach der dortigen Liberalisierung der Sterbehilfe – ich zitiere hier den Autor.

Die einen wollen deshalb eine „vorsichtige“ Liberalisierung der Sterbehilfe. Viele von denen, die zum Suizid entschlossen sind, würden eigentlich gerne weiterleben, wenn sich ihre Lebensumstände verbessern würden.

Ursachen der Misere sind zum Beispiel soziale Vereinsamung (weil niemand da ist, der sich kümmert und gute Pflege viel Geld kostet), oder es ist keine bezahlbare behindertengerechte Wohnung aufzutreiben oder es bleibt überhaupt nur noch die Alternative Obdachlosigkeit. Dies sind ökonomische Gründe. Ist ja auch logisch, die Ökonomie bestimmt unser System.

Weil wir ökonomisch planen, geht es uns gut (wenigstens einem Teil von uns). Wenn „wir“ zu viel Geld für unproduktive Ressourcen ausgeben (Kranke, Alte, sozial Schwache), gehen „wir“ pleite.

Wenn wir aber nicht für alle sorgen können oder wollen (weil’s zu teuer wäre), sollten wir den Abgehängten unseres Systems den Ausstieg erleichtern durch eine weitestgehende Liberalisierung der Sterbehilfe.

Alles andere ist Heuchelei.

Name ist der Redaktion bekannt

Was heißt „lebenssatt“?

Eine „Anekdote“ nennt der Autor die Berichte über das Ende des Schriftstellers Walter Jens. Dann werden 3 Fälle aus Kanada erwähnt, die keine Einzelfälle seien, um die Sterbehilfe als Gefahr in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darzustellen. Und nach dem Lesen der letzten Tagebücher von Fritz J. Raddatz wird der Begriff „lebenssatt“ als neues Wort gesehen. Aber schon in der Bibel steht (Genesis 25,8), dass Abraham „lebenssatt“ war.

Warum kein Blick in unsere Nachbarstaaten Belgien, Niederlande, Luxemburg, ja, auch die Schweiz – wo ist dort die Sterbehilfe „eine Gefahr“? Ich bin 87 Jahre – das auch Dank der Ärzte und ihrer Behandlung. Und wenn ich mir ein Ende wünsche, muss ich immer noch (wie Raddatz) in die Schweiz fahren!

Heinz Schrock, Reinbek

Geht es um „Überdruss“?

„Lebenssatt“ ist kein neues Wort. Ich könnte auf die Schnelle Luther anbieten, seit 1527 ist das Wort stets im Gebrauch geblieben. Ich dachte früher immer, dies meinte ein innerstes Einverständnis mit dem Tod – im zufriedenen Rückblick auf ein volles, gelungenes Leben und womöglich reichlich, wohlgeratene Nachkommen: Es war gut, doch ist nun genug.

Wahrscheinlich war das vom Autor geschilderte durchaus gegenteilige Wortverständnis als Überdruss immer schon das Gemeinte.

Name ist der Redaktion bekannt

Zum Freitod überredet?

Dieser Artikel ist sehr subjektiv gefärbt. Allein durch den Hinweis auf den vermeintlich enormen Anstieg der Suizide nach der Liberalisierung in Kanada wird noch keine Aussage zu den Gründen der Suizide getroffen. Was der Autor verkennt, ist die Tatsache, dass es viele todkranke Menschen gibt, die auf eine gesetzliche Regelung zum Zugang zu Medikamenten warten, mit denen ein humaner Suizid möglich wird. Wem soll es nun zustehen, dieses Recht auf Suizid einzuschränken?

Dem Autor steht dieses Recht jedenfalls nicht zu! Sollte es Situationen geben, dass Dritte Druck ausüben, um jemanden in den Freitod zu treiben, so wäre das eine kriminelle Tat, welche von der Justiz aufzuarbeiten ist.

Volkmar H. Weber, Hartmannsdorf

Alternative Sterbefasten?

Wichtig ist mir, dass wir uns trauen, über das Sterben zu reden. Das kann durchaus eine Suizidprävention sein, weil dann Alternativen angesprochen werden können, die das Leben wieder lebenswert machen.

Wichtig ist mir, dass ich eine individuell-konkrete Patientenverfügung habe, in der ich mir das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben sichere.

Ich bin aber kein Freund der Tötung auf Verlangen, weil das eine Zumutung für die oder den Tötenden ist. Ich plädiere für den Verzicht auf Essen und Trinken, was eine altehrwürdige Methode ist, die mir sowohl die Chance gibt, es mir nochmal anders zu überlegen, als auch dazu dient, an meiner Entscheidung zweifelnde Nahestehende von der Ernsthaftigkeit meines Vorhabens zu überzeugen. Das kann dann auch den Trauerprozess lindern.

Frank Spade auf taz.de

Aktive Sterbehilfe ist nach wie vor verboten, passive Sterbehilfe (das Beenden lebenserhaltender Maßnahmen) ist ausreichend geregelt. Francesco auf taz.de

Letzter Ausdruck der Freiheit? Pure Verzweiflung? Fehlende Hilfe? Alles zusammen? Manche Länder vergeben tödlich wirkende Medikamente legal an sterbewillige Menschen   Foto: imago

Welche Anmaßung!

Einem Menschen diese fundamentale Entscheidung zu verwehren oder zu erschweren verletzt in meinen Augen die unantastbare Menschenwürde.

Volker Racho auf taz.de

Ich finde es sehr anmaßend, dass andere Menschen über mein Leben und meinen Tod bestimmen. H.L. auf taz.de

Was nicht sein darf …

Besten Dank für diesen Kommentar! Der Autor traut sich endlich einmal öffentlich auszusprechen, was in einer Gesellschaft, in der alles, was auch nur im Entferntesten nach „Freiheit“ und „Individualität“ riecht, geradezu fanatisch gefeiert und verteidigt wird. Negative Aspekte werden dabei fast immer totgeschwiegen, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Boidsen auf taz.de

Zwei Sorten Leben …

Dass es zwei Sorten Tod gibt, ist die logische Konsequenz einer Gesellschaft, in der es ja auch zwei Sorten Leben gibt. Wenn Abtreibung möglich ist bei drohender Behinderung eines Kindes, wenn in Kitas und Schulen vor allem leistungstaugliche BürgerInnen herangezogen werden und für alle anderen nur die Krümel, die vom Tisch fallen, übrigbleiben, wenn am liebsten nur die Flüchtlinge ins Land gelassen werden, die wir verwenden und verwerten können für unsere binneneuropäische Wohlfühlzone – warum sollte es dann, wenn's ans Sterben geht, Gleichberechtigung für alle geben?

Hildegard Meier, Köln

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