wortwechsel: Die Privilegien der Mittelschicht
Die Grünen verlieren bei der Wahl in Bremen. Worin liegen die Gründe dafür? Abbau der Privilegien, Brötchentaste, Lützerath oder Urlaub mit Flugzeug?
„Maike Schaefer tritt zurück“, „Nervöse Mittelschicht“ und „Finger weg von der Brötchentaste“
taz vom 14. 5. 23, 15. 5. 23 und 16. 5. 23
Umverteilung
Die Grünen gehen eben nicht an die Privilegien der Mittelschicht. Das hieße Umverteilen, Bildungshemmnisse abbauen, soziale Durchlässigkeit fördern. Die Kosten und Lasten des absolut notwendigen Umbaus der Infrastruktur werden einfach gleichmäßig verteilt, vielleicht noch nicht mal das. Denn Förderung der Elektromobilität zum Beispiel kommt überproportional genau der (oberen) Mittelschicht zugute. Man könnte also im Gegenteil sagen: Wenn sich die Grünen mal an die Privilegien der Mittelschicht ranmachen würden, würden sie enorm an Glaubwürdigkeit gewinnen. Die Hausbesitzer sind übrigens in Deutschland deutlich in der Minderheit, alleine daher kann die Rechnung der Kommentatorin nicht aufgehen.
Dietmar Rosenthal auf taz.de
Distinktionsgewinn
Tja, die Grünen zu wählen war eben bis vor Kurzem einer dieser bourdieuschen gewissen Unterschiede. Es war Distinktionsgewinn. Deswegen ja auch die hohen Wahlergebnisse in Hamburg-Pöseldorf oder Prenzlauer Berg. Man wählt Grün, weil man es sich leisten kann und immer noch keiner sauer auf einen ist, wenn man dann die dritte Urlaubsreise per Flugzeug im Jahr unternimmt. Schließlich ging es nie um echten Wandel, sondern um das gute Gefühl, etwas Besseres zu sein. Dieser habituelle Vorteil ist natürlich dahin, wenn alles teurer wird und es einen selbst statt nur den Pöbel mit „SUV und Swimmingpool“ (Zitat taz) trifft.
„Suryo“ auf taz.de
Vertrauensverlust
Die Beschreibung der Kommentatorin überzeugt mich nicht. Ich kenne eine Menge Leute, die die Grünen deshalb nicht mehr wählen, weil sie in der Ampel nicht deutlich genug vorangehen und sich von der FDP durch die Manege treiben lassen. Von Vertrauensverlusten in Lützerath und vergleichbaren Orten abgesehen.
Nelly_M auf taz.de
Probleme der Grünen
Das Problem ist, dass die Grünen eine zutiefst moralgesteuerte Politik betreiben, aber selber moralisch fehlbar sind und damit nicht umgehen können. Das Problem ist, dass die Grünen in der Opposition und im Wahlkampf Dinge versprechen, die realpolitisch schlicht nicht umsetzbar sind. Das Problem ist, dass die Grünen die Menschen umerziehen wollen mit Ideen wie Veggie-Day, Werbeverbot für Süßigkeiten etc … Dadurch auch immer wieder das Stigma der Verbotspartei befeuern.
Das Problem der Grünen ist, dass ihre Politik inkonsequent daherkommt, weil Klimaschutz und Umweltschutz sich beißen, und damit regional in Opposition zu sich selbst geht (Windräder ja, aber nicht hier, weil Rotmilan, oder Atomkraft nein, deshalb mehr Kohleenergie). Das Problem der Grünen ist, dass jedes Problem aus der Sicht von urbanen Regionen gedacht wird (weniger Autos, mehr ÖPNV), was aber in der ländlichen Realität auf den ersten Blick für jeden Ländlichen als Schwachsinn erkannt wird.
Man kann das noch so weiterführen. Aber wenn die Grünen ernsthaft verändern wollen, müssen sie gewisse Positionen aufgeben und einen Perspektivwechsel hinlegen und sich für ein Übel entscheiden.
„Walterismus“ auf taz.de
Klimapolitik ohne Verzicht
Wenn die SPD Öko-Politik macht, dann wird sie von einer Mehrheit mitgetragen, wenn diese von den Grünen gemacht wird, nicht, und das da deren Öko-Politik ja ans Eingemachte ginge. Geht die SPD-Klimapolitik nicht auch ans Eingemachte? Und wenn ja, warum sind die Wähler dann eher zum Verzicht bereit als bei den Grünen? Und wenn nein, warum sind die Grünen zu dumm, eine Klimapolitik ohne Verzicht zu gestalten?
Ignaz Wrobel auf taz.de
Wohlstandserhaltung
Den Wahlausgang in Bremen wie die Umfrageverluste der Grünen fasst Benno Schirrmeister im Kommentar mit dem Satz: „Wer ihre (der Wähler) Kleinstprobleme nicht berücksichtigt, wird beim Verhindern der globalen Katastrophen auch nicht vorankommen.“ Den heutigen Lebensstil zu halten, ist trotz des Ressourcenverbrauchs von 1,7 Erden Minimalerwartung der Bürger aller Länder. Nur wer dieses Wunder vollbringt, mit weniger Ressourcen den Wohlstand zu halten, kann Hoffnungsträger sein.
Klaus Warzecha, Wiesbaden
Brötchentasten-Kampagne
Dass sich Spiegel und taz vor den Karren einer klitzekleinen FDP-Brötchentasten-Kampagne spannen lassen, wurmt! Schön wäre es, mal direkt von enttäuschten Stammwählern der Grünen zu erfahren, wo der Schuh drückt, und sich von anderen Wählern erklären zu lassen, warum Klimaschutz möglichst nichts kosten darf. Hilfreich könnte auch sein, wenn Bürger frühzeitig in Planungen zur Energiewende einbezogen würden. De facto ist das nicht möglich, weil Ministerien und Behörden Bürger bei Anfragen zur Energiewende mit bürokratischen Floskeln abspeisen und es keine Mitarbeiter gibt, die Bürgern in Planung befindliche Prozesse der Energiewende geduldig erklären.
Mit einer kommunikativen Brötchentaste wie bisher ist es nicht getan! Man stelle sich vor: in Habecks Ministerium müssten sich die planenden Beamten und Berufspolitiker plus Habeck einige Stunden pro Monat den Fragen der Bürger auf Youtube stellen. Dann würde sich das bürokratische Betonkastendenken der Beamten und Politiker im Wirtschaftsministerium um einiges verändern. Lobbyisten haben bei diesen Terminen Anrufverbot!
„Lindenberg“ auf taz.de
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