wortwechsel: Einfach hoffnungslos – diese Linkspartei?
Hat der Rücktritt der Co-Vorsitzenden Hennig-Welsow den Weg frei gemacht für eine radikale Inventur – oder ist diese Partei chronisch verwirrt über ihren linken Auftrag?
„Erneuerung oder Ende“, taz vom 22. 4. 22
Partei wird gebraucht
Die Analyse von Pascal Beucker spielt den Ball in die richtige Richtung. Denn auch, wenn sich die Linke derzeit nicht nur wegen des MeToo-Skandals in einem desolaten Zustand befindet, wird die Partei trotzdem noch benötigt, da sie immerhin die einzige parlamentarische Gruppierung ist, die sich ernsthaft für das Mietenproblem interessiert. Deshalb müssen sich die verschiedenen Flügel hier in jedem Fall endlich zusammenreißen, wenn ihnen ihre eigene Partei wirklich etwas bedeutet, da ein Bundestag ohne eine starke linke Opposition jenseits von SPD und Grünen nur noch eine Interessenvertretung für die beiden oberen Drittel der Gesellschaft und damit alles andere als hilfreich für den mittlerweile in Deutschland ohnehin recht brüchigen Zusammenhalt wäre.
Rasmus Ph. Helt, Hamburg
Ich gebe dem Autor absolut recht. Es ist dringend notwendig, eine engagierte linke Partei zu haben. Wenn 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche im brüchigen Hartz-IV-System groß werden, es mehr als 3 Millionen Arbeitslose gibt, eine Verarmungswelle von RentnerInnen, Arbeitsverhältnisse ohne Gewerkschaft die Regel sind, Frauen in vielen Branchen systematisch schlechter bezahlt werden, eine Bundesregierung spontan für € 100 Milliarden aufrüstet, Grüne immer kriegerischer werden – dann benötigen wir eine starke, integre und funktionierende linke Partei. Andreas_2020 auf taz.de
Neoliberalismus siegt?
Ich sehe in der politischen Verzwergung der Linken eher das Ergebnis eines politischen Rechtsrucks – oder Neoliberalismus-Rucks in der deutschen Gesellschaft (das müsste man diskutieren wie den Aufstieg des Macronismus in Frankreich). Da SPD und Grüne auf dieser Welle mitschwimmen, ihre Programmatik entsprechend anpassen, kommen sie noch glimpflich davon. Etwas “Linkeres“ als diese Parteien wird es am Ende dann nicht mehr geben …. Ein kruder Ausfluss des Neoliberalismus.
Abdurchdiemitte auf taz.de
@Abdurchdiemitte Ein Problem: Linker Unfehlbarkeitshabitus. Linkssein ist Gutsein – und wird von vielen seiner Vertreter in Ermangelung eines kapitalistischen Leistungsethos zum Objekt ihres Wettbewerbsinstinkts erhoben – ein ähnliches Phänomen wie in Religionsgemeinschaften, die sich einen egalitären Anstrich geben und wirtschaftlichen Wettbewerb für gottlos erklären. Normalo auf taz.de
Ein Geburtsfehler …
Der Geburtsfehler der Linkspartei war der Glaube, mit einer schlichten Umbenennung die ehemalige Staatspartei der DDR zu retten. Einer glaubwürdigen Aufarbeitung der zweiten Diktatur in Deutschland hat die Linke sich eher verweigert, wohl auch, um die Privilegien und Renten vieler Funktionäre der SED in der neuen Bundesrepublik nicht zu gefährden. Solche Pflege von neu-alten Seilschaften kann freiheitlich-links denkende Menschen aber nicht überzeugen.
Katrinka Delattre, Hamburg
„Krise der Linkspartei: Ein Trümmerhaufen. Der Rücktritt der Chefin Hennig-Wellsow passt zum maroden Gesamtzustand der Partei. Vor allem personell muss sich die Linke neu aufstellen“,
taz vom 21. 4. 22
Bürgerliche Machtpolitik
Das Scheitern von Hennig-Wellsow war absehbar und ihre Inkonsequenz hinsichtlich der Niederlegung des Bundestagsmandats ist bezeichnend. Leider sind die seit Jahren für eine wirklich linke Partei geforderten Bekenntnis- und Handlungsentscheidungen seitens der Basis auch bei der Co-Vorsitzenden wirkungslos verhallt. Das seit fast zehn Jahre immer deutlicher werden Abdriften der Bundes- sowie Landesspitzen der Partei Die Linke in den Hafen bürgerlicher Machtpolitik scheint nunmehr unumkehrbar. Besonders schmerzhaft ist auch, dass progressiv Andersdenkende in der Partei nicht nur nicht geduldet, sondern offen und mit unlauteren Mitteln, siehe Umgang mit dem Ältestenrat, bekämpft werden. Auch die unseligen Grabenkämpfe haben ihren Part zum Niedergang linker Gestaltungsalternativen geleistet.
Raimon Brete, Chemnitz
#MeToo auf Links
Wie die taz richtig beschrieben hat, ist einerseits die Faktenlage unklar, andererseits die juristische Auslegung und drittens gibt es scheinbar einen Generationenkonflikt bei den Linken. Recht eindeutig ist, dass die nun begonnenen Auseinandersetzungen nicht den eventuellen/tatsächlich Betroffenen und Beteiligten gerecht werden können, zumal die Begrifflichkeiten kreuz und quer durcheinander gewirbelt werden, und das deutsche Strafrecht nicht unbedingt greift. Grundsätzlich müsste die Linke einiges überdenken, aber das kommt bei den Vorwürfen, Vorverurteilungen, Klagen und Gegenklagen zu kurz!
Wie kann es zum Beispiel sein, dass es in einer sich feministisch nennenden Partei zu „toxischer Männlichkeit“ kommt, zu scheinbaren Abhängigkeiten von Frauen gegenüber Männern, zu Männern, die das scheinbar ausnutzen, wenn sie Frauen unter Druck setzen können – ohne das dies auffällt? Wie kann es sein, dass Frauen in einer feministischen Partei scheinbar unterwürfig gegenüber Männern sind und sich auf „Verhältnisse“ einlassen, weil es sonst Konsequenzen geben könnte?
Sind die Machtverhältnisse so patriarchalisch und waren führende linke Frauen so betriebsblind und Männern bedingungslos ergeben? Warum trauen linke Frauen, die eigentlich doch selbstbewusst genug sein sollten, sich nicht, Strafanzeigen zu stellen, wenn ein Mann sich unerlaubt Zutritt über den Balkon verschafft, um Sex zu haben?
Es bleiben viele Fragezeichen und die generelle Frage, wie es um das Verhältnis zwischen Frauen, Männern und Macht im linken Bereich steht, zumal in einer Partei, wo Frauen potentiell mehrheitlich auf Machtpositionen agieren.
Jörg Wilhelm, Wiesbaden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen