piwik no script img

wortwechsel„Mauern muss man feiern, wenn sie fallen“

Die taz widmete dem 30. Jahrestag der Wiedervereinigung eine Sonderausgabe. Die Reise durch Ost und West fand großen Anklang. Der Tenor: Schön, aber es gibt noch viel zu tun!

Berlin, 1990: Mauerspecht, freiwilliger Einsatz zwischen West und Ost Foto: Werner Otto/imago

„Was ist das für ein Land?“,

taz vom 2./3. 10. 20

Alles gut, Herzilein?

Mein lieber „Made in Germany“, sei doch endlich einmal ganz realistisch, die Einheit ist (seit 30 Jahren) da, und sie wird weiter da bleiben; das ist Fakt, das ist unsere tägliche Reality-Show! „Beziehungskisten“ sollten eigentlich voll amüsant und easy unterhaltsam sein, selbst in Zeiten, wo irgendwie alles nur noch nach einer „hausgemachten Corona-Einheits-Suppe“ schmeckt. „Cor meum“, Herzilein! Alles gut, oder!?

Riggi Schwarz, Büchenbach

Das Ost-West-Gefälle

Sehr schön, dass sich die taz ausführlich der deutschen Wiedervereinigung widmet. Der Tag der Deutschen Einheit hat bisher lediglich Symbolcharakter, denn in Wirklichkeit ist Deutschland nicht vereint. Sowohl auf finanzieller als auch auf sozialer Ebene gibt es auch drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall ein starkes Ost-West-Gefälle. Im Westen verdienen Arbeitnehmer bis zu 40 Prozent mehr als ihre Kollegen im Osten, obwohl dort oft sogar länger gearbeitet wird. Außerdem existieren (teilweise) große Unterschiede in den Lebensprioritäten zwischen West und Ost, vor allem in Bezug auf Weltoffenheit. Davon abgesehen, sind bis heute auf beiden Seiten zahlreiche Vorurteile in den Köpfen fest verankert – zum Beispiel: „Ostdeutsche sind ausländerfeindlicher als Westdeutsche.“ Natürlich überwiegen ganz klar die positiven Sachverhalte der deutschen Wiedervereinigung. Trotzdem sollten immer wieder die Schattenseiten kontrovers diskutiert werden. Ansonsten feiert man einen Feiertag bloß, um etwas zu feiern, doch das Feiern allein darf niemals bei einem historischen Ereignis im Vordergrund stehen. Julia Engels, Elsdorf

In der Zweifelhaft

Einst volkten wir zu den Wiesen, den satten/ den Schwestern und Brüdern, die wir hatten/ Hinter der Mauer war der Horizont gefällig flach/ und machte so manchen Schläfer wach/ Der Himmel war blau und die Straße war weit/ nun brach sie an, die bessere Zeit/ Ums Wohlsein sich jeder nun selbst bemühte/ noch ahnten wir nicht, was der Landschaft blühte/ Im teuren Anzug strichen drüber graue Nebel/ und legten um die Einheitshebel/ die größere Sehnsucht zu verbergen/ anstatt, was noch lebendig war, zu bergen/ Eifrig unbewegt lief die vereinte Menge/ sang das Lob der gemütlichen Enge/ Visionen gab es in Einkaufsregalen/ statt in den nun freien Wahlen/ Geordnet lag des Geistes Feld nun leer und breit/ Drauf wuchs befremdliche Befindlichkeit/ und nur der Glaube an die eigne Kraft/ führte uns stolz in freie Zweifelhaft/ Die legte sich geradem Weg in die Quere/ und füllte das Tiefe mit kluger Leere/ und spannte alles gehabte Sehnen/ zu einem immer größeren Gähnen/ Die neue Würde, im Gesetz verfasst/ ließ tastend suchen in blinder Hast/ Wir zogen aus, uns selbst und das Glück zu suchen/ ein Leben wie im Katalog zu buchen/ Wir lutschten betört all die Zuckerstangen, hielten stolz noch Selfie-Stangen/ die unsichtbare Würde einzufangen/ Wir wurden fähig wie die Affen/ uns in uns selbst ganz zu vergaffen/ Das Herz wurd’ klein, die Hose groß/ So wurden wir ganz würdelos/ Darüber weht der aufgeblähte Werbe-Wind/ Doch keiner kann den andern finden/ da ist nichts, um seine Seele anzubinden/ Jetzt schafft ein jeder eigene Welten/ lässt andre fremde nicht mehr gelten/ und macht zur Größten nur die seine/ bis es die große bunte Eine/ zurück ins Öde und ins Leere treibt/ bis nur noch Sehnsucht nach Sehnsucht bleibt/ Hier schreit’s aus freier Zweifelhaft/ nach jener Kraft, die Gutes schafft/ im Tohuwabohu vom bösen Ende/ Die Zeit ist reif für eine Wende!

Harald Apel, Zingst

Die Einheit der Männer

„30 Jahre Einheit in Oberschwaben: Trommeln für alle!“, taz vom 2./3. 10. 20

Haben die betroffenen Männer das Gefühl, dass die Frauen ihnen etwas wegnehmen? Warum tut es so weh, das Trommel-„Privileg“ zu teilen? Werden Frauen als Spaßverderber gesehen? Müssten sich die Reiter, Fischer, Trommler anders (vielleicht anständiger) benehmen, wenn Frauen dabei sind? Oder mit den Worten des Feministen Mario Barth: „Warum werden Frauen diskriminiert? Weil es sich bewährt hat!“ Katrina auf taz.de

@Katrina: Es gibt dann doch nicht so viele Frauen, die Lust haben, sich stundenlang darüber zu unterhalten, wer jetzt beim nächsten Länderspiel auflaufen soll. Außerdem werden in solchen Runden oft auch „Männerprobleme“ besprochen, was nur ungern vor Frauen getan wird. Wären die Jungs nicht so verbohrt, würden sie einfach eine Frauenabteilung ihres Bundes aufmachen. Fancybeard auf taz.de

@Fancybeard: Mehr Gleichberechtigung wird dafür sorgen, dass die Traditionen nicht mehr als rückständig wahrgenommen werden. Das wird ihr Weiterleben vermutlich auf Jahrhunderte absichern. Ewald der Etrusker auf taz.de

Ein permanenter Prozess

„Das Deutschland Puzzle“,

taz vom 2./3. 10. 20

Mauern muss man feiern, wenn sie fallen ... Das Zeitfenster für „selbstständige“ Entscheidungen der Deutschen war insbesondere durch die politischen und pekuniären Umstände in der ehemaligen UdSSR vorgegeben. Den Weg zur friedlichen Wiedervereinigung haben freilich die DDR-Bürger mit dem entschlossenen Einsatz ihrer Menschenwürde und Solidarität geebnet. Dieses im besten Sinne vorbildlich basisdemokratische Handeln in einem undemokratisch regierten Land sollte uns heutigen gesamtdeutschen Demokraten nicht nur an feierlichen Gedenktagen ein verbindlicher Anlass und Referenzwert dazu sein, den gesellschaftlichen Kompass hinsichtlich aller Kardinalpunkte – Respekt, Gerechtigkeit, Aufklärung und Fürsorge – zu kalibrieren. Die Einheit einer Nation, der Friede und die Freiheit einer Gesellschaft sind ohnedies ein permanenter Prozess (von Wachstum und Bildung) und somit eine generationenübergreifende Aufgabe aller öffentlichen und privaten „Gesellschafter“. Matthias Bartsch, Lichtenau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen