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wortwechselWitze über Frauen und Antisemitismus

Wie darf man über israelische Politik diskutieren? Wer haftet für die Fehler künstlicher Intelligenz und wie gut ist die Corona-App?

Bundesparteitag der Liberalen Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Lindners Witz, Merz zu schwulem Kanzler

„Einfach rausgerutscht“,

taz vom 22. 9. 20

Christian Lindner verabschiedet seine Generalsekretärin und verunglückt dabei mit einem Herrenwitz. Es ist gut, dass die Republik darüber diskutiert, denn die Stellung der Frauen in der Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verändert. Dieser Rückfall des Herrn Lindner in eine Zeit, in der er selber noch mit der Trommel um den Weihnachtsbaum gerannt sein dürfte, und die Diskussion darum beflügeln diese Entwicklung und klären einige Dinge. Das war’s aber auch schon, denn das Ganze war nicht mehr als tapsig. Lindner wollte witzig sein und das hat nicht geklappt. Wir wissen jetzt etwas mehr über sein Frauenbild und vielleicht über seine Träume. Anders sieht das bei Friedrich Merz aus. Vorderhand hat er zwei Dinge durcheinandergebracht, die nichts miteinander zu tun haben. Das aber zum einen in einem nach wie vor sehr sensiblen Bereich und zum anderen passiert so etwas einem Friedrich Merz nicht „aus Versehen“. Die Vermischung von Homosexualität und Pädophilie geschah absichtlich, um in dem Kampf um den CDU-Vorsitz diejenigen anzusprechen, die den substanziellen Unterschied bis heute nicht verstanden haben. Selbstverständlich gibt es in der CDU auch Mitglieder, die die Akzeptanz von Homosexualität durch ihre Partei nicht gutheißen, sondern nur schweigend ertragen. Die sind durch die „unglückliche Formulierung“ bedient worden, und auch die Richtigstellung und das Zurückrudern sind feste Bestandteile jeglicher populistischer Manöver. Alles immer wieder zu beobachten bei Vertreter*innen der Parteien am rechten Rand und hier vorgeführt von Friedrich Merz, um seinem Konkurrenten auf ekelhafte Weise eins auszuwischen. § 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“!

Gerd Klünder,Telgte

Immunitätsausweis

„Der Unsinn von der Zweiklassengesellschaft“,

taz vom 23. 9. 20

Heike Haarhoff argumentiert, die vielen Einschränkungen der Grundrechte rechtfertigten es, Personen mit einem Immunitätsnachweis anders zu behandeln als welche ohne einen solchen Ausweis – und ihnen weniger Beschränkungen aufzuerlegen. Das mag vielleicht als grundsätzliche Überlegung gerechtfertigt sein. Was sie aber überhaupt nicht bedenkt: Die aktuell auf dem Markt befindlichen Antikörpertests sind wegen des geringen Durchseuchungsgrads mit Corona so unsicher, dass man genauso gut eine Münze werfen könnte. Die bislang verfügbaren Schnelltests sind noch viel weniger validiert. Hinzu kommt: In einer eben veröffentlichten US-amerikanischen Studie an Gesundheitsarbeiter*innen war nach einigen Wochen bei über der Hälfte der primär positiv auf Covid-19 Getesteten eine erneute Antikörpertestung wieder negativ. Wir haben überhaupt keine Ahnung, ob das vielleicht bedeutet, dass sie sich erneut infizieren können. Möglicherweise wird es bei Covid-19 wie bei der Virusgrippe eine sich jährlich verändernde Zusammensetzung der Viren geben. Mit anderen Worten: Die Bescheinigung einer Immunität in einem Ausweis ist völlig unsicher. Insofern sind sie keine Alternative zur beschriebenen generellen Einschränkung der Grundrechte.

Günther Egidi, Bremen

Antisemitismus in Deutschland

„Mangel an Solidarität“,

taz vom 22. 9. 20

Ich gehöre zu den offenbar nicht wenigen, die kaum bewussten Kontakt mit jüdischen Mitbürgern haben, dafür aber umso mehr Wissenslücken über jüdische Kultur aufweisen. Die erschreckende (wenn auch nicht ganz neue) Botschaft des Artikels ist, dass es antisemitische Übergriffe (wie auch Rassismus) gibt – überhaupt und in welcher Häufigkeit. Dass dagegen kaum Solidarität erfahren wird, ist besonders bitter. Aber ich erhoffte mir von diesem Artikel zugleich Erhellung und Einblicke in etwas anderer Hinsicht: Durch welche unsensiblen Verhaltensweisen aus Unkenntnis fühlen sich denn jüdische Mitmenschen entwürdigt – wie sieht die „zentrale Defizitwahrnehmung“ denn konkret aus? Wie werden sie am selbstbestimmten Leben gehindert? Hier wurde ich enttäuscht, statt dessen kam als „Lackmustest“ wieder einmal antiisraelisches Ressentiment um die Ecke, wobei unklar bleibt, was das meint. Kritische Haltung zur Politik Netanjahus? Ist das schon Antiisraelismus und damit automatisch Antisemitismus? Bin ich Feind aller Brasilianer einschließlich der Amazonas-Ureinwohner, wenn ich Bolsonaro zum Kotzen finde? Dabei habe ich als Ex-DDR-Bürger schon eine durchaus lebendige Vorstellung, wie Menschen für „ihren“ Staat diskriminierend in Mithaftung genommen werden können (etwa indem ihnen Demokratiefähigkeit pauschal abgesprochen wird). Es ist durchaus ein Unterschied, ob ein*e jüdische*r Bürger*in anlasslos für alles, was schiefläuft in Israel, verantwortlich gemacht wird, oder ob man ohne Besserwisserei und unter Wahrung des persönlichen Respekts über politische Fragen diskutiert, wenn das Gespräch darauf kommt. Genau diese Differenzierung vermisse ich indes bei manchen reflexhaften Antisemitismusvorwürfen, wo es eigentlich um die Rolle einer bestimmten israelischen Regierung geht.

Kay Gürtzig, Ilmenau

Künstliche Intelligenz

„Künstliche Dummheit“,

taz vom 23. 9. 20

Die Ausgangsfragestellung auf der Titelseite formuliert knapp den blinden Fleck, der die meisten Beiträge zum Thema künstliche Intelligenz aktuell noch kennzeichnet: Wer haftet für Fehler? Diese Frage zu beantworten ist eigentlich ganz einfach, nämlich die Personen und Institutionen, die die entsprechenden Algorithmen entwickelt haben, wenn der Algorithmus auf die Allgemeinheit losgelassen wird. Leider streift der Artikel nur einem wichtigen Aspekt, nämlich die notwendige Kontrolle der Algorithmen. Diese müssen von einer unabhängigen Instanz (z.B. TÜV) kontrolliert werden. Genauso wichtig ist aber die Dokumentation dieser Algorithmen. So müssen diese standardmäßig von einer unabhängigen (aus meiner Sicht vorzugsweise staatlichen) Stelle rechtssicher aufbewahrt werden, so dass sie im Zweifelsfall für eine Verwendung vor Gericht vorliegen. Nur so ist in meinen Augen gewährleistet, dass Prozesse, in denen es um einen fehlerhaften Algorithmus geht, auch die Verantwortlichen vor Gericht landen werden. Und nur so hat die Allgemeinheit einen Hebel mit ausreichend Drohpotenzial, um die sorgfältige und sichere Anwendung von künstlicher Intelligenz, die sie erwarten darf. So wie der Diskurs aktuell läuft, wird leider genau das nicht passieren und im schlimmsten Fall der Anwender vor Gericht verantwortlich gemacht (siehe Uber).

Carlo Schmidt, Stuttgart

Richtige Prioritäten setzen

„100 Tage Corona-Warn-App“,

taz vom 24. 9. 20

Die Euphorie von Jens Spahn kann nicht überzeugen. Zum einen bleibt ein nicht unwesentliches Problem bei der Corona-App, dass jene schon bei vielen leicht älteren Smartphones nicht funktioniert. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Politik die richtigen Prioritäten setzt, wenn weiterhin an den wirklich wichtigen neuralgischen Punkten, wo sehr viele Menschen zusammentreffen, wie zum Beispiel größeren Bahnhöfen, zumindest in einer Stadt wie Hamburg selbst die einfachsten Dinge für ein Hygienekonzept wie öffentliche Desinfektionsspender oder eine Trennung der Laufwege aus unterschiedlichen Richtungen nahezu überall komplett fehlen. Deshalb müssen Bund und Länder hier mit ihrer doppelten Messlatte in jedem Fall aufpassen, nicht Vertrauen zu verspielen!

Rasmus Ph. Helt, Hamburg

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