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wortwechselCanceld oder gecanceld oder gecancelt?

Streit über Phosphatwerte im Bodensee, der „Coronaheld“ Söder versagt, Anglizismen in der taz und Vergebung statt Hass und Wut in Christchurch

Fischfang im Bodensee

„Nicht nur sauber, sondern rein“,

taz vom 24. 8. 20

Wir sind entsetzt über die Tatsache, dass sich ein Redakteur der von uns sonst so geschätzten taz dazu hergibt, für die Partikularinteressen einer winzigen Minderheit von Gewerbetreibenden einen doppelseitigen Artikel zu produzieren, der ausschließlich die Argumentation bestimmter Wirtschaftsinteressen darlegt, ohne auch nur den geringsten Versuch zu unternehmen, im Zuge journalistischer Sorgfalt auch andere Positionen zu analysieren, denen im Übrigen die ganz große Mehrheit der Seeanrainer angehört. Bevor man etwa die Politik als „Plage“ bezeichnet bzw. diese Zuschreibung von Interessenvertretern unreflektiert übernimmt, sollte man sich als Journalist vielleicht auch mit der „Gegenseite“ – in diesem Fall dem Ministerium für Ernährung und ländlichen Raum – unterhalten haben. Der Bodensee ist von Natur aus ein sehr nährstoffarmes Gewässer. Die hohen Phosphateinträge im letzten Jahrhundert haben zum Aussterben einer Fischart, des Kilchs, und zum Beihnahe-Aussterben von Seeforelle und Seesaibling geführt. Die Felchen konnten sich damals wegen des sauerstoffarmen Tiefenwassers nicht mehr fortpflanzen und wurden damals nur künstlich durch Laicherbrütungs- und Besatzmaßnahmen vor dem Aussterben gerettet. Und dann kamen – so der Artikelschreiber – die „biblischen Plagen“ (u. a. sauberes Wasser und Klärwerke): Inzwischen haben die aufwendigen, von allen Seeanrainern getragenen Reinhaltemaßnahmen gegriffen, der See nähert sich wieder dem Zustand vor der Eutrophierung an. Seesaibling und Seeforelle treten wieder so häufig auf wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die Felchenbestände haben sich stabilisiert und pflanzen sich wieder von selbst fort. Auch das im Vergleich zur der Eutrophierungsphase stärkere Wachstum der Felchen hat sich wieder auf das Normalmaß dieses Gewässers angepasst, an das dann auch die Fangvorschriften der Berufsfischerei angepasst wurden. Die Behauptung, die Felchen hätten in einem sauberen See keine ausreichende Nahrung mehr, ist eine völlig widersinnige Schutzbehauptung, denn diese Fischart lebte schon immer in diesem oligotrophen See, aber eben nicht in der Zahl, die heute von manchen wirtschaftlich erwünscht ist. Jetzt den See wieder mit Phosphat künstlich zu eutrophieren, ist ein absolut aberwitziges Projekt, das sich für die Zukunft der Lebensgemeinschaft des Gewässers nicht interessiert, sondern nur um ihre Zurichtung auf die Bedürfnisse einer fischereilichen Wachstumswirtschaft. Es kann doch nicht angehen, dass man die Realität wirtschaftlichen Interessen anpasst und dabei ganze Ökosysteme opfert – mit unbekannten Folgen für das ganze Ökosystem. Die Phosphatanreicherung stellt übrigens (anders, als der Artikel das suggeriert) keine Alternative zu den geplanten Fischfarmen dar, sondern ist ein zusätzliches Begehr. Die Gemeinde Langenargen hat sowieso schon das Problem, dass wegen eines hochgradig eutrophierten Flusseinlaufs ihr Seeschwimmbad oft tagelang wegen Algenteppichen nicht benutzbar ist. Sollten die Fischzuchten das noch verschärfen, kann sich der Ort jetzt schon darauf einstellen, dass die Touristen dann zwar die begehrten Fische bekommen, aber keinen See mehr haben.

Marion Schole, Werner Richter, Überlingen

Bayern und Corona

„Tod einer Erntehelferin“,

taz vom 25. 8. 20

Wochenlang schob sich Herr Söder in jede vorhandene Kamera, um den wichtigen Staatsmann zu mimen und sich als Coronahelden zu inszenieren. Nur in „seinem“ Bayern geht er auf Tauchstation. Himmelschreiende Missstände auf einem Gemüsehof, der offensichtlich von Ausbeutung, Drohungen gegen die Saisonarbeiterinnen und -arbeiter lebt. Zustände wie auf Gutsherrenhöfen des letzten Jahrhunderts. Mindestlöhne, die nicht bezahlt werden. Ein Inhaberpaar mit scheinbar psychopathischen Verhaltensweisen. Alles das im angeblichen Musterland Bayern. Nix ist es da mit Muster. Und beflissen machen alle zuständigen Behördenmenschen ganz fest die Augen zu. Wo genau ist denn jetzt der Ministerpräsident, der dem Rest der Republik immer gern zeigen wollte, wie Politik gemacht werden müsste? Er reiht sich ein in die Reihe der CSU-Minister Seehofer, Scheuer und Co, die durch Hybris, Inkompetenz und Dreistigkeit der Nation das Gruseln lehren, ohne dass sie aufgehalten oder rausgeworden werden. So eine CSU-Riege braucht niemand, nicht mal die Bayern.

Uwe Barkow, Frankfurt a. M.

Sprachkritik

„„Der Kampf ums Canceln““,

taz vom 25. 8. 20

Anglizismen werden immer zahlreicher in unserer Sprache, doch ihre Verwendung ist nicht immer unproblematisch. Dies wird in Herrn Ağars anregendem Text belegt. Gegen „Canceln“ in der Überschrift ist nichts einzuwenden, doch die folgende vierfache Verwendung von „canceled“ ist nicht gelungen. Dreimal wird die Form als 3. Person Singular Präsens, einmal als Partizip Perfekt benutzt. Zum einen ist „canceled“ die Imperfektform, sodass eine „eingedeutschte“ Form wie „cancelt“ angemessener wäre (sieht seltsam aus, ist aber näher an der grammatikalischen „Wahrheit“). Ganz unpassend erscheint mir „canceled“ in dem Satz, „... nutzt Rapper Kanye West die Bezeichnung, um seine Befürchtung auszudrücken, dass er „canceled“ werden könnte...“. So unelegant es klingen mag, doch ein Mix beider Sprachen, der in der Form „gecancelt“ resultiert, ist auch hier überzeugender. In dem Zusammenhang möchte ich einen Klassiker von Boris Becker erwähnen, den er vor Jahrzehnten zum Besten gab: „Erst hat er mich gebreakt, dann hab ich ihn zurückgebreakt.“ Ob er es so geschrieben hätte, sei dahingestellt; und ob es nicht „gebroken“ heißen sollte – aber das ist wieder ein anderes Thema.

Helmut Maurer, Heidelberg

Christchurch-Prozess

„Attentäter muss lebenslang in Haft“,

taz vom 27. 8. 20

Ein australischer Massenmörder, dessen Name nie wieder erwähnt werden sollte, wurde in Neuseeland zu einem Leben ohne Hoffnung auf Bewährung verurteilt. Seine Schuld wurde nie angezweifelt, da er seinen Mord an 51 Menschen und den versuchten Mord an weiteren 40 Menschen live übertragen hatte, als er sich seinen Weg durch zwei Moscheen in der Stadt Christchurch bahnte. Aus dieser großen Tragödie gingen Geschichten über Heldentaten hervor, wie es oft in Zeiten der Not der Fall ist, aber egal wie mutig eine Person ist, es gibt keine Hoffnung gegen ein halbautomatisches AR15-Gewehr aus nächster Nähe, obwohl diese Aktion anderen die Flucht ermöglichte. Diese Zeit der Traurigkeit bot Einblicke in die Natur der Menschheit mit dem Bösen eines Menschen, der von der Stärke des Glaubens der Familien, von denen viele nicht Hass, sondern Vergebung zeigten, stark außer Kraft gesetzt wurde. Wut wäre die erwartete Reaktion, aber so viele wurden durch ihre bessere Natur gemildert. Was der Mörder nicht verstand, war, dass die Unterschiede zwischen den Menschen die Welt zu einem besseren Ort machen. Oft gesagt, Tragödien bringen Menschen zusammen, aber warum ist das so teuer? Dennis Fitzgerald, Melbourne, Australien

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