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wortwechselPolizeigewalt: Das Endeder Unschuldsvermutung

Tod im Polizeigewahrsam hat viele Gesichter: Suizid. Notwehr. „Akute Gefahrenabwehr.“ Rassismus. Manchmal Mord. Unvorstellbar? Ein taz Dossier beschrieb 24 strittige Fälle

Licht ins polizeiliche Dunkelfeld: Die taz hat Fälle untersucht, bei denen Menschen, die von Rassismus betroffen waren, in Polizeigewahrsam ums Leben kamen“, taz vom 18. 7. 20

Was für ein Messer?

Liebe taz, es ist verdienstvoll, Licht ins polizeiliche Dunkelfeld zu bringen. Bei den meisten Fällen wird jedoch auch ein anderes Dunkelfeld unserer Gesellschaft aufgezeigt: der Umgang mit und die nicht ausreichende Betreuung von Menschen mit psychischer Behinderung. Viele der aufgezeigten Fälle bringen Menschen in Gefahr – auch PolizistInnen, die gerufen werden. Es braucht ein sehr viel früher eingreifendes und unterstützendes System mit einem sozial-psychotherapeutischen Ansatz. Zum anderen fällt mir der undifferenzierte Umgang mit dem Begriff „Messer“ auf. Nicht jedes Messer rechtfertigt bestimmte polizeiliche Maßnahmen, manche Messer aber können sehr verletztend bis tödlich sein. So wird der Eindruck einer Schieflage von Messer zu Polizeigewalt aufgebaut. Bei genauerer Beschreibung würde der Artikel nicht an Wert verlieren. Roland Schüler, Köln

„Er war letztlich harmlos“

Ihr schreibt über einen 62-jährigen aus Liberia, schizophren, glaubt, Gott zu sein. Verletzt einen Polizeibeamten lebensgefährlich mit einem Messer. Amos Thomas aus Liberia wird erschossen. Der rechtliche Betreuer, sagt über ihn: Er war letztlich harmlos. Das ist die Recherche?! Da lachen ja nicht einmal mehr die bekannten Hühner! Sicher wollte Amos Thomas nur mit dem Messer spielen!

Jürgen Stolte, Mehlbach

Und die andere Seite?

Ich finde es furchtbar und unerträglich, dass Menschen in polizeilicher Obhut erniedrigt und gequält werden und manche (viele) sogar ihr Leben verlieren. Ich finde es gut, dass die taz versucht, diese Fälle zu recherchieren und aufzuklären. Zu einer umfassenden Dokumentation über die Geschehnisse im Polizeigewahrsam, auf Polizeiwachen und bei Polizeieinsätzen gehört aber, nicht nur den Fokus auf „coloured people“ zu richten, sondern auch zu untersuchen, wie viele „Weiße“ polizeilichen Repressalien ausgesetzt waren und auch vielleicht zu Tode gekommen sind. Ich denke hier nicht an den Studienrat, der wegen Trunkenheit auf der Polizeiwache landet, sondern mehr an die Menschen, die aus wenig angesehenen Milieus kommen, keine Lobby haben und in Strafanstalten landen. Welcher Behandlung sind sie ausgesetzt?

Erst wenn auch diese Fälle akribisch untersucht werden, kann man vom „Licht in der Dunkelheit sprechen“. Als ehemalige Frau eines Polizeibeamten mache ich noch den Vorschlag für eine weitere Recherche: Gehen Sie doch mal der Frage nach, wie viele Polizisten bei Einsätzen ums Leben kamen, wie viele verletzt und traumatisiert sind, so dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Auch das gehört an die Öffentlichkeit!

Hanne Kranz, Bingen

Zu viele Vermutungen

Warum alle 24 Personen von Rassismus betroffen waren, erschließt sich mir aus dem Artikel nicht. Es werden viele Fakten aufgezählt, aber auch viele Mutmaßungen getätigt, Vorwürfe (unausgesprochen) in den Raum gestellt. 10. 4. 18 in Bremervörde: Ist der Mann gestorben, weil er aus dem Irak stammte? Hätte der psychologische Dienst im Kopf eines „people of non-colour“ eine Suizidabsicht auf jeden Fall erkannt? 22. 1. 18 in Darmstadt: Wäre jemand anderes, der Frau, Kinder und Polizisten mit zwei Messern bedroht, anders behandelt worden? 13. 7. 16 in Erharting: Schön, dass der Betreuer den bekannt aggressiven Amos immer „herunterbringen“ konnte. Solche Kommentare helfen den beim Vorfall Anwesenden aber im Nachhinein auch nicht weiter. Wurde er aus rassistischen Gründen erschossen?

Der Leser muss/soll sich aus grob zusammengetragenen, recht einseitigen Fakten sein eigenes Bild machen. Aber wie? War es Rassismus? Unklar.

Matthias Hahn, Berlin

Reaktion in Sekunden!

Den Versuch der taz, „Licht ins polizeiliche Dunkelfeld“ zu bringen, finde ich gut und wertvoll. Die konkret ausgewählten Fälle erscheinen mir dafür aber weit mehrheitlich ungeeignet. Was genau sollen Polizist:innen nach Meinung der Autor:in­nen denn tun, wenn sie von hochpsychotischen Menschen mit Messern oder Äxten angegriffen werden und binnen Sekunden reagieren müssen?

Eine Bewaffnung der Polizei mit Tasern oder Ähnlichem wünscht sich die taz doch sicher nicht, oder?

Im Übrigen sehe ich bei den Fällen wenig Recherche, sondern viel Geraune, Mutmaßungen und den Versuch, die Verstorbenen nachträglich als stets deeskalierend zu beschreiben oder ihre Suizidalität zu negieren. Dass Angehörige und Freund:innen ein solches Bild für sich wünschen, verstehe ich gut – dies allerdings quasi als Ergebnis der Recherche zu präsentieren, weniger.

Die – wenigen – Fälle, in denen tödliche Polizeieinsätze tatsächlich falsch gelaufen sind und eine Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit in Betracht kommt, werden damit zugleich vernebelt und überdeckt, was sich niemand wünschen kann, dem an einer Aufklärung dieser Fälle gelegen ist. Letzteres müsste insbesondere im wohlverstandenen Interesse der Institution Polizei selbst liegen. Tim Engel, Bochum

Botschaft an Seehofer

Ein großes Dankeschön, liebe taz, für diese Dokumentation des „polizeilichen Dunkelfelds“. Es lässt sich damit eigentlich nicht mehr so ohne Weiteres behaupten, dass es sich dabei lediglich „um Einzelfälle“ handele.

Eine weitere Durchdringung des Dunkelfeldes wäre also vonnöten.

Innenminister Seehofer sollte sich einer Studie zu Racial Profiling in der Polizei nicht weiter entgegenstellen. Außerdem wäre dies eine Botschaft, dass Ermittlungen zu unklaren Todesfällen, zum Beispiel im Polizeigewahrsam, nicht durch die Behörden behindert werden.

Helga Schneider-Ludorff, Oberursel

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