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wortwechselRassismus hat viele Gesichter

Soll der Begriff „Rasse“ im Grundgesetz ersetzt werden? Deutschland und sein koloniales Erbe. Die AfD gewinnt in Karlsruhe gegen Seehofer, bleibt aber irgendwie verdächtig

Frankfurter Schule

„AfD gewinnt gegen Seehofer – aber nicht ganz“, taz vom 10. 6. 20

Auch wenn es schmerzt, man muss in dieser Sache dem Seehofer-Horst Respekt aussprechen. Sein intensives Studium der Schriften der Frankfurter Schule – in seiner Bescheidenheit hat er nie öffentlich darüber gesprochen – ist der Hintergrund seiner wohldurchdachten Strategie: durch seine Äußerung auf der Internetseite des Innenministeriums, die AFD sei „staatszersetzend“, macht er deutlich, dass er den Herbert Marcuse besser verstanden hat, als die staubtrockenen Juristen des Verfassungsgerichtes, die über eine „Verletzung staatlicher Neutralitätspflicht“ lamentieren.

Marcuse stellte in seiner Schrift „Repressive Toleranz“ (1965) ausführlich dar, dass Toleranz nicht gegenüber allen gewährt werden darf, sondern seine klaren Grenzen hat, zum Beispiel gegenüber denen, die Toleranz bekämpfen, indem sie sich antidemokratisch oder rassistisch äußern. Unparteiische Toleranz schütze in Wirklichkeit die bereits etablierte Maschinerie der Diskriminierung.

Also Horsti, das hast du auf deine alten Tage gut und richtig gemacht, so eine klammheimliche Spur 68er steckt halt doch in dir, gell. Jochen Riegger, Berlin

Narrative

„Dekolonisieren im Dialog“,

taz vom 9. 6. 20

Israel ist ein Rechtsstaat und seine arabischen Bürger haben lediglich mit den Problemen zu kämpfen, die andere Minderheiten in anderen demokratischen Staaten auch haben, erklärt uns Kirsten Kappert-Gonther.

Nun wird die Stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion sicher wissen, dass es darum in der Debatte gar nicht geht, sondern um die israelische Besatzungspolitik im Westjordanland. Die bittere Wahrheit, dass ein geliebter demokratischer Rechtsstaat in dem überwiegend von ihm verwalteten Teil dieses Besatzungsgebietes sich permanenter Menschenrechtsverletzungen schuldig macht und mit illegalem Landraub internationales Recht bricht, ist offenbar so schwer zu ertragen, dass man ständig mit dem Holzhammer „Antisemitismus“ auf Kritiker einschlagen muss.

Die arabische Mehrheit im besetzten Gebiet und ihr Leiden sind allen keine Silbe wert. Norbert Faber, Berlin

Grenze überschritten

„Grundrauschen der Ausgrenzung nimmt zu“, taz vom 10. 6. 20

Es ist leicht, sich abzuwenden und zu sagen, es betrifft mich nicht. Irgendwann aber ist der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr genügt, sich „nur“ zur Gruppe derer zu zählen, die nicht aktiv dabei mitmacht. Wer mit weißen Privilegien geboren wurde, bei dem erregen oft nur solche Ereignisse Aufsehen, die bereits die Grenze zwischen Alltagsrassismus und schierer Menschenverachtung überschritten haben.

Die aktuellen Ereignisse in Amerika haben allerdings ein Fass zum Überlaufen gebracht, das gefüllt ist mit viel mehr, als dem Aufschrei und der Wut über diese Zurschaustellung von weißem Suprematismus.

Es sind die kleinen Nuancen, die im Alltag gar nicht auffallen. Von geflüsterten Beleidigungen, über Racial Profiling. Es ist Zeit, die Stimme zu erheben für alle, die sich jeden Tag Rassismus ausgesetzt sehen. Marcel Floeth, Mönchengladbach

Vor der Haustür kehren

„Die Wut wächst“, taz vom 8. 6. 20

Gegen Rassismus zu demonstrieren ist gut und wichtig. Er ist in jedem Fall zu verurteilen. Auch die Betroffenheit durch den Mord an George Floyd ist angemessen und richtig. Aber warum kehren wir nicht mehr vor der eigenen Haustür? Warum knien und schweigen wir nicht für die Toten im Mittelmeer? Deren Todeskampf möchte ich mir nicht vorstellen. Warum gehen wir nicht mit Tausenden auf die Straße, um gegen die Menschenrechte verletzenden Zustände in den Flüchtlingslagern zu protestieren?

Die Rechte wird immer stärker und aggressiver. Wir müssen nicht nach Amerika schauen, der Rassismus ist in Europa. RefugeesLivesMatter. Eva Sarrazin, Bonn

Begriff nicht ersetzen

„Verlernen wir Rassismus!“,

taz vom 9. 6. 20

Die Idee, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen, halte ich für sehr zwiespältig. Einerseits ist die Zielrichtung sehr richtig: den Rassismus zu verlernen, ist sicher eines der höchsten Ziele jeder Demokratie. Das anzustreben und in die Realität umzusetzen wird noch ein langer schwieriger Kampf werden. Allerdings habe ich größte Bedenken, den Begriff aus dem Grundgesetz zu entfernen, da damit automatisch Tür und Tor für Missverständnisse geöffnet wird! Wir haben gerade erst erlebt, wie in Krisenzeiten hohe Errungenschaften einer Demokratie in allgemeinem Einverständnis (auch meinem!) zumindest vorübergehend gekippt werden können. Wie leicht macht man es dann böswilligen Kräften, genau diesen fehlenden Begriff zu nutzen und de facto rassistische Regelungen einzuführen – einfach mit dem Hinweis darauf, dass es vom Grundgesetz ja nicht verboten ist. Anton Wiessner, Erlangen

Einfühlungsvermögen

„Das Ende der Geduld “, taz vom 8. 6. 20

Peter Gabriel 1984, sein viertes Album, darauf der Titel, „No one of us“: „Ist doch nur Wasser, wenn ein Fremder weint. Augen wie wir, Münder wie wir, doch es tut uns leid, du bist nicht wie wir, du bist nicht wie wir. Und noch mal ganz klar. Du bist nicht wie wir.“ Das war auch die Zeit, wo man uns im Geschichtsunterricht Filmdokumente aus Auschwitz zeigte. Ich kann noch fühlen, wie man nach dem Unterricht nach Hause ging und traumatisiert war.

Das große Thema sollte die Empathie sein. Wer kann sensibilisieren? Die Eltern natürlich, Schulen offene Jugendarbeit …Bundespräsident Steinmeier versucht es. Ich befürchte, dass der Hass auf andere Menschen größer wird, man muss Armen und Menschen, die gefallen sind, die Hand reichen. Vorbild sein für andere, die es nicht fühlen können. Auf den Schildern sollte „Empathie“ stehen.

Udo Knoop, Timmendorfer Strand

Erbe der Deutschen

„Dekolonisieren im Dialog“,

taz vom 9. 6. 20

Der Mord an George Floyd hat Erinnerungsspuren, Blutspuren des Grauens sichtbar werden lassen. In Deutschland auch die Blutspur des Völkermords an Hereros durch die deutsche Kolonialmacht 1904 bis 1908 bis zum Tod von Oury Jalloh 2005 in einer Gewahrsamszelle im Keller des Polizeireviers Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt.

Als Deutscher ist mir auch bewusst, dass die Unterdrückung der Palästinenser durch die herrschende Macht in Israel von der Schoah nicht zu trennen ist. Demut ist für mich auch aus deutscher Sicht gegenüber Israel elementar. Aber die Achtung und Verteidigung der Menschenrechte kann durch historische Schuld nicht minimiert werden. Israelische Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren, hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Jürg Fischer, Freiburg

Staaten gründen

„Dekolonisieren im Dialog“,

taz vom 9. 6. 20

Auch wenn es vor der Gründung des Staates Israel keinen „Staat Palästina“ gab, muss man bedenken, dass es auch nie einen „Staat Israel“ in Palästina gegeben hat. Vor vielen Jahrhunderten gab es eine Zeit lang ein Königreich Juda und ein Königreich Israel, deren Territorien decken sich aber nicht mit dem Territorium, das der Staat Israel heute beherrscht. Davon aber abgesehen taugt ein solches Argument nicht zur Rechtfertigung von Enteignung und Verdrängung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung, denn das widerspricht internationalem Recht.

Manuela Kunkel, Stuttgart

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