wortwechsel: Wirtschaftswachstum – Master of the universe?
Autorin Ulrike Herrmann beschrieb ein Paradox: Neoliberale beten Wachstum an – bremsen es aber aus; Umweltforscher wollen ökologisch zähmen – verstärken aber das Wachstum
„Das Wachstumsparadox: Die Umwelt retten bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum – geht das?“,
taz vom 23./24. 11. 19
Schrumpfen, aber wie?
Es verblüfft schon, wenn ich lese, dass die zwei Weltkriege durch den Effekt des gebremsten Wirtschaftswachstums zum Umweltschutz beigetragen haben sollen, genauso wie der neoliberale Kurs der Politik der vergangenen Jahre. Sollten wir nun Kriege entfachen oder die FDP wählen, um Umweltschutz zu erreichen? Nein, sicherlich nicht, das schreibt auch Ulrike Herrmann! Die richtige Fragestellung könnte aber sein: Wie kann ein gezieltes Schrumpfen der Wirtschaft geplant werden, was dann zu einer Verringerung des Konsums führt? Das wiederum löst Unruhen und Revolten aus. Also müsste die Reduktion der Wirtschaft mit einer Umverteilung des Vermögens einhergehen – unter der Voraussetzung, dass keine Kapitalflucht möglich ist oder dieser Prozess weltweit stattfindet. Das scheint sehr utopisch. Aber über das gesteuerte Schrumpfen der Wirtschaft, die Vernichtung oder Verlangsamung der Geldströme und die damit notwendige Veränderung der Reichtumsverteilung und der Wirtschaftssysteme sollten wir weiter nachdenken. Jürgen Franke, Bremen
Panzer machen Dreck
Richtig ist, dass Tausende von Kraftwagen für den privaten Konsum in den Weltkriegen nicht produziert wurden und damit der Umwelt viele Emissionen erspart blieben. Allerdings wurden stattdessen Militärgüter produziert und wahrscheinlich mehr als die Privaten hätten nachfragen können, denn der Staat hatte erheblich größere Finanzierungsspielräume, von denen er sich später in Deutschland durch eine Währungsreform befreite. Für das Wachstum und Emissionen aber spielt es keine Rolle, welche Art Güter produziert werden. Der Einsatz der Panzer, Flugzeuge und Bomben selbst war auch mit wahrscheinlich mehr Emissionen verbunden und später wurden die angerichteten Schäden wieder mit erheblichen Emissionen beseitigt. Unter dem Strich scheint mir der Krieg insgesamt ein gewaltiges Konjunkturprogramm gewesen zu sein und den Klimawandel eher beschleunigt zu haben, abgesehen von dem immensen menschlichen Leid.
Uwe Spieckermann, Buchholz
Auswirkung: gleich null
Wenn alle Haushalte einer Volkswirtschaft nach der Verkehrswende genauso viel für Mobilität ausgeben wie zuvor, dann ist die Auswirkung auf das Wachstum gleich null. Schrumpfbranchen (Automobile) würden ausgeglichen durch Wachstumsbranchen (öffentliche Verkehrsmittel). Wenn die Haushalte weniger für Mobilität ausgeben, dann kommt es darauf an: Entweder sie reduzieren ihre Ausgaben insgesamt, erhöhen also die Sparquote – dann hätten wir eine Verringerung des Bruttosozialprodukts (BSP) –, oder sie geben die eingesparten Ausgaben für anderes aus, dann haben wir wieder: Auswirkung auf das Wachstum gleich null. Wenn die Haushalte mehr für Mobilität ausgeben, erhöhen sie entweder ihre Ausgaben insgesamt – verringern also die Sparquote! – dann hätten wir eine Erhöhung des BSP. Oder sie verringern andere Ausgaben, dann haben wir wieder: Auswirkung auf das Wachstum gleich null. Das wahrscheinlichste Szenario bleibt demnach eine Auswirkung gleich null. So paradox ist das Wachstum also nicht.
Hans Baier, Frankfurt a. M.
Die Kipppunkte
Welch ein fulminanter, erhellend aufklärender Beitrag! In der Nachricht von der Verleihung des Otto Brenner Preises an Frau Ulrike Herrmann wurde das Paradoxon so auf den Punkt gebracht: „Kapitalismus funktioniert nur mit Wachstum. In einer endlichen Welt kann es jedoch kein unendliches Wachstum geben.“ Wachstum treibt den Klimawandel, Nullwachstum beendet den Aufschwung, die gesamte Wohlfahrt. Unser Wohlergehen wird so oder so attackiert. Attackiert durch die Folgen des Klimawandels, den wir schon spüren. Der geplante Verzicht auf Wachstum ist steuerbar, der Klimawandel mit den zu erwartenden Kipppunkten nicht.
Klaus Warzecha, Wiesbaden
Planetare Grenzen
Ulrike Herrmann hat in einem früheren Vortrag vertreten, der Kapitalismus sei ja auch nicht anhand eines Masterplans in die Welt gekommen, sondern es entstanden, zuerst örtlich, Veränderungen, und erst nachträglich konnte man die grundlegenden Veränderungen als Übergang zu einer kapitalistischen Wirtschaftsweise beschreiben. Ich vermute, so wird es auch gehen, wenn es uns gelingt – hoffentlich! –, zu einer Postwachstumsökonomie zu kommen. Warum schreibt die Autorin nicht mal über die Studie – auch vom Umweltbundesamt herausgegeben – „Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen. Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition“. Dort wird zumindest versucht, die Positionen eines New Green Deal mit der Postwachstumsökonomie zu verbinden. Darüber einen kritischen Artikel – das würde mich interessieren!
Otto Merkel, Bensheim
Blue Economy
Sehr geehrte Frau Herrmann, ich finde den wirtschaftstheoretischen Ansatz der Blue Economy sehr interessant. Dabei geht es um die Loslösung von der linearen Wirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft. So ist der Biomüll der einzige Müll, der sich zu 100 Prozent recyceln lässt, da es in der Natur keinen Abfall gibt. Alles ist Rohstoff für das nächste Produkt.
In der einen Werkhalle wird der neue Stadtbus zusammengeschraubt, in der anderen Werkhalle der verbrauchte Stadtbus komplett demontiert. Dieser Kreislauf wird am Anfang noch sehr unvollkommen sein. Prämisse muss sein, diesen Kreislauf zu 100 Prozent zu perfektionieren. Der neue Stadtbus wird mit weniger Materialien auskommen. Es bleiben also sogar überschüssige Rohstoffe zurück.
So entsteht ebenfalls ein Wachstum.
Arne Matschinsky, Hamburg
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