piwik no script img

wortwechsel„Ohne Empörung gibt es kein Denken“

Von alten Leuten – im Gegensatz zu jungen. Von dem Spiel um den Regierungsthron. Von der SPD und Andrea Nahles. Von der Demokratie, vom Sport und von einem Nazi

Panikartige Albträume

„Gebt die Führer­scheine ab! Und das Wahlrecht gleich mit“, taz vom 1. 6. 19

„Illegales Autorennen mitten in der Kölner Innenstadt“, „Unbeteiligte Hausfrau bei Autorennen getötet“. – Wir alle kennen Schlagzeilen wie diese. Das Alter der Täter liegt meist zwischen 20 und 30 Jahre, das der Opfer oft deutlich darüber. Laut ADAC und Deutschem Verkehrsrat sind die 18- bis 24-Jährigen am häufigsten in Unfälle verwickelt. Die Hauptunfallursache war 2017 mit 26,4 Prozent Alkohol am Steuer, die größte Gruppe der daran Beteiligten die der 25- bis 34-Jährigen.

Anderer Leben gefährden ist das eine. Das andere: anderer Zukunft gefährden. Bei der Bundestagswahl 2017 haben laut Bundeswahlleiter die 25- bis 34-Jährigen zu 12,8 Prozent die AfD gewählt, bei den 35- bis 44-Jährigen waren es sogar 15,4 Prozent. Der Stimmanteil für die AfD lag bei den 60-Jährigen dagegen nur bei 10,5 Prozent, die über 70-Jährigen haben sogar nur zu 8,3 Prozent die rechte Partei gewählt. Da bin ich froh, dass die Älteren zu 81 Prozent zur Wahl gingen. Die bis zu 30-Jährigen wählten nur zu 69 Prozent. Ohne die Älteren wäre also der Anteil für die AfD noch höher geworden.

Ich bin auch empört darüber, wie die jüngeren Arbeitnehmer den Wohlstand gefährden, den die Älteren in Jahrzehnten aufgebaut haben. In vielen Betrieben ist es zur Mode geworden, dass jüngere Beschäftigte einfach blaumachen, wenn die Dinge nicht so entschieden werden, wie sie wünschen: zum Beispiel bei Urlaubsabsprache, Wochenenddiensten, Schichteinteilung. Weil den Jungen Freizeit und Vergnügen wichtiger sind als die Arbeit, lassen sie sich hemmungslos krankschreiben.

Stinkesauer bin ich darüber, wie die Jungen unsere Umwelt zumüllen: Haben Sie schon einmal einen 70-Jährigen mit einem Coffee-to-go-Becher in der City gesehen? Ich nicht. Wissen Sie, welche Altersgruppe bei den McDonald’s-Kunden die größte ist? Die der 20- bis 29-Jährigen. Die meisten McDonald’s-Abfalltüten sind auf Autobahnab- und zufahrten in der Nähe von McDonald’s-Restaurants zu finden. Raten Sie mal, ob 65- oder 25-Jährige die dort hingeworfen haben?

Was wir brauchen, ist eine Epistokratie der Älteren. Wissen Sie, welcher Gedanke mir panikartige Albträume verursacht? Was wohl passiert wäre, wenn Jüngere als damals unser Grundgesetz beraten und geschrieben hätten.

Dieter Bähre, Ibbenbüren

Prinzessin der Befreiung

„Bedenke das Ende“ zur Krise der ­Parteien, taz vom 1. 6. 19

Da nun auch hier die „millionenfach gezeichnete Onlinepetition“ gegen das Ende von „Game of Thrones“ und für die Neufassung der letzten Staffel zum wiederholten Male zustimmend erwähnt wurde, könnte dieser „Spoiler“ vielleicht zu einigem Nachdenken anregen:

Wenn so viele Zuschauer mit dem Ausgang der letzten Staffel nicht einverstanden waren, dann muss der Autor (oder in diesem Fall das Autorenkollektiv) etwas richtig gemacht haben, das über das Genre „Fiktion“ hinausgeht und auf Wahrheiten verweist, die gewöhnlich latent bleiben, wir also lieber nicht wissen wollen. Zu lange hatte man geglaubt, die Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Sklaverei sei möglich durch eine Prinzessin, die nicht nur aussieht wie Robes­pierre, sondern ebenso verrückt ist wie Rousseau und so monologisch-mitleidlos denkt wie Lenin, aber über Ich-empirisches Denken nicht hinauskommt und letztlich nur ihren Kindheitsträumen nachjagt. Kein Wunder, dass auf diese Weise die zwei Königskinder niemals zusammenkommen werden, der „wahre“ Prinz ins Exil geschickt werden muss und die Ratssitzungen in Königsmund (Thema unter anderem: „Braucht eine Hafenstadt Bordelle?“) so trivial sind wie EU-Kompromisse in Brüssel. Denn was nützt es, wenn die Prinzessin den Nachtkönig besiegen half, um zwei Folgen später aus Rache, enttäuschter Liebe und im Namen einer besseren Zukunft eine Millionenstadt abzufackeln?

In der realen Geschichte Großbritanniens gab es übrigens einen John Snow, der erreichte, dass die Cholera wirksam bekämpft wurde – was dazu führte, dass London (so wie demnächst auch die Hauptstadt der Königslande!) endlich eine Kanalisation bekam. Und wie sollte das Mittelalter denn anders enden als in einer Welt, in der aufgestiegene Strauchritter wie Bronn, ernüchterte Romantiker wie Brienne und weitere vom Schicksal Geschlagene gemeinsam an einem Tisch sitzen, um nach einem dennoch möglichen Konsens zu suchen und dabei hoffen, dass Drachen für immer verschwunden sein werden. Gewiss ist das langweilig – aber wer von uns möchte tatsächlich in „historisch interessanten“ Zeiten leben?

Bernhard Becker, Duisburg

Sesselfunktionäre

„Bedenke das Ende“, taz vom 1. 6. 19

Andrea Nahles hat viel falsch gemacht in den letzten Monaten? In den letzten Monaten? Wir erinnern uns: Von der Leyen ändert als Arbeitsministerin die Berechnungsgrundlagen für Hartz IV, Nahles protestiert dagegen vehement. Und als sie 2013 selbst Arbeitsministerin wird? Da behält sie still und leise die asozialen Berechnungsgrundlagen bei, die Hartz-IV-Empfängern weniger Geld bescheren! Diese verantwortungslosen, machtgierigen Genossen, diese Sesselfunktionäre ohne jedes Rückgrat, ohne jede Vision sind es, die die SPD in die Bedeutungslosigkeit treiben. Andrea Nahles hätte nie Parteivorsitzende oder Fraktionsvorsitzende werden dürfen!

Karsten Neumann, Nürnberg

Weiterwurschteln

„Hilfe, ich bin linksradikal“, taz vom 5. 6. 19

Georg Seeßlen trifft mit seiner Diagnose den Punkt: Die auf Gier gegründete Demokratie ist nicht zu retten. Dass sie aber von irgendjemand neu gedacht werden kann, ist leider nicht nachvollziehbar. Laut eigener Aussage kann die Hoffnung nur darin bestehen, „dass die Menschen immer klüger, freier, eben menschlicher werden“. Also an ihrem Bewusstsein arbeiten.

Die meisten Menschen wissen aber nicht einmal, dass das geht. Deshalb läuft es offensichtlich auf besinnungsloses Weiterwurschteln bis zum Zusammenbruch hinaus. Wenn wir mit Millionen von Klimaflüchtlingen um den Rest der bewohnbaren Welt kämpfen, wird das Projekt von Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit nicht einmal mehr als Utopie durchgehen. Rainer Assmann, Filderstadt

Fußballsport als solcher

„Wie ein Ostklub die Mauer zum Oberhaus einreißt“, taz vom 29./30. 5. 19

Das Porträt über den 1. FC Union Berlin spielt den Ball in eine falsche Richtung. Zum einen hat der Ostgedanke trotz seiner expliziten Erwähnung im Vereinslied von Nina Hagen nicht mehr eine so große Bedeutung, da anders als etwa in den 1990er Jahren gerade bei Auswärtspartien nicht mehr in großem Stil „Ostberlin“ im Refrain gesungen wird. Zum anderen sollte man den Klub eher in der Tradition des früheren FC St. Pauli sehen, der sich leider mittlerweile in ökonomischer Hinsicht sehr stark von seinen ursprünglichen Wurzeln gelöst hat und deutlich übervermarktet wird.

Deshalb bleibt das eigentliche Erfrischende vor allem, dass künftig wieder eine Mannschaft in der Bundesliga zu finden ist, bei der es vornehmlich nur um den Fußballsport als solchen geht! Rasmus Ph. Helt, Hamburg

Gewaltverliebter Nazi

„Vom Ackerkämpfer zum Kampf­sportler“, taz vom 1. 6. 19

Auf der Seite „Leibesübungen“ wurde der Artikel illustriert mit einem Foto vom „Trauermarsch“ bei der Beerdigung von Thomas Haller. Der Bildunterschrift entnehme ich, dass der Verstorbene „viel zur Professionalisierung der Hools beigetragen hat“! Donnerwetter! Und ich dachte bisher, das sei ein gewaltverliebter und fanatischer Neonazi gewesen, der von seinen Kameraden wegen dieser seiner Gesinnung so martialisch „verabschiedet“ wurde?! Hans Steih, Kleve

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen