wortwechsel: Keine Gnade? Haltet auch die linke Wange hin?
Haben selbst gewalttätige Neonazis ein Recht auf unsere gewaltlose Gegenwehr? Reicht der Aufruf zur Debattenkultur – dort, wo pure Brutalität auf den Straßen regiert?
„Antifa ohne Faschismus“,
taz vom 31. 1. 19
Gewalttäter stoppen!
Es ist ein Unterschied, ob wir davon sprechen, die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner gewaltsam auszutragen, oder ob es darum geht, dass Menschen in bestimmten Gegenden Deutschlands von Nazis mit Gewalt bis zum Tod bedroht werden und Polizei, Justiz und Politik keinen ausreichenden Schutz bieten können und wollen.
Darum geht es in dem Artikel „Die Gewaltfrage“ von Lalon Sander (15. 1. 19). In diesen Kontexten ist es doch illusorisch, von der Antifa oder direkt Betroffenen (übrigens sind das oftmals die gleichen Personen) zu fordern, sie sollten „die Durchsetzung von Recht, Gesetz und den Schutz von bedrohten Menschen einfordern“. Für nicht wenige linke „Andersdenkende“ stellt sich der Alltag in vor allem ostdeutschen Dörfern nicht so viel anders dar als in einem faschistischen Staat, jedenfalls was das Ohnmachtsgefühl gegenüber der „Mehrheit“ angeht. In diesen Fällen reden wir auch nicht von „ein paar Neurechten, die Plakate an Türen kleben“, oder von Rechten, die „einem schwer auf die Nerven gehen“. Es geht da um tägliche Diskriminierung, psychische und physische Gewalt und damit um die tatsächliche Bedrohung, schwer verletzt oder getötet zu werden. Ich kann manche Kritik an der Antifa verstehen, aber dass sie in solchen Gegenden als Einzige Gewalttäter in Schach hält und auch abschreckt, hat doch wohl nichts mit einem heroisch-kindischen Nacheifern von NS-Widerstandskämpfern zu tun, sondern ist bitter notwendig für die Betroffenen.
Bisherige Gegenreden zu Lalon Sanders Artikel haben die Situation „vor Ort“ weitgehend außer Acht gelassen. Aber genau um diese Frage ging es ja, inwiefern das Prinzip „Keine Gewalt“ auch in von Nazis dominierten Gegenden gelten kann und soll. Und ich kann hier so oft von der ostdeutschen Provinz sprechen, weil ich sie als Sachse aus erster Hand kenne.
Frank Erkenbrecher, Bonn
Möchtegernhelden?
Was für ein platter Relativismus, die oft mit Gewalt einhergehenden rechten Tendenzen so zu beschreiben, als handele es sich bloß darum, dass „ein paar Neurechte Plakate an die Türen von Medienhäusern kleben und 10 bis 15 Prozent der Wählerinnen keine multikulturelle Gesellschaft und weniger EU wollen“. Dieses Bild scheint mir mehrfach danebengegriffen, da die Zahl der AFD-Wähler weiter steigt. Zum Zweiten handelt es sich bei den rechten Wählern und Demonstranten manchmal um Bürger, die die Reduzierung des Migrantenanteils fordern (Stichwort Obergrenze), letztlich also auf die für die Ungebrochenheit ihres Heimatgefühls akzeptable Quantität an Multikulturalität zielen, bei anderen wiederum um Bürger, deren mentale Grundausstattung ganz eindeutig sehr schnell anschlussfähig an extrem rechte Positionen ist. Die Infantilisierung der Antifa-Aktivisten als Möchtegernhelden geht ebenfalls daneben. Auf dem Radikalitätsniveau und mit dieser drastischen Realitätswahrnehmung geht es nicht mehr um solche Nebensächlichkeiten wie Heldentatengefühle, sondern um notwendig drastische Antworten auf diese von ihnen so wahrgenommene extreme Realität. Es erfordert also auch die Reflexion über das Bedürfnis nach Mythos und verschworener Gruppenidentität. Wolfgang Hasch, Berlin
Hannibal vergessen?
Diese Ausgabe der taz musste ich aber erst mal querlesen, um mich über diesen Artikel so recht zu ärgern. Warum? Seht selbst: Saul Friedländer auf Seite 2, „vergessene Opfer“ und „Drohung an Anwältin“ auf Seite 6; „nur die SS war (…) böse“ auf Seite 16. Nicht, dass ich irgendwas für Gewalt übrig hätte – und der Anschlag auf den unsäglichen Magnitz, so er denn überhaupt einen politischen Hintergrund haben sollte, war ein grandioses Eigentor. Aber die anderen Artikel beweisen doch, dass man nicht wachsam genug sein kann. NSU 1.0 schon vergessen? Hannibal und die hessische Polizei? Harmlose Einzeltäter und kein Netzwerk? Die Antifa sind nicht die schwarz vermummten Autonomen, sondern viele, die wachsam bleiben – aus bestem Grund.
Martin Henn, Sensenbach
698 brutale Angriffe
„Wir leben nicht in einem faschistischen Staat.“ Stimmt, wenn der bereits existieren würde, wäre es zu spät, ihn noch verhindern zu wollen. Deshalb ist es notwendig, alle Wege dorthin rechtzeitig zu verhindern. Dazu gehört, den Wegbereitern einer solchen Entwicklung rechtzeitig und wirksam entgegenzutreten. Das gilt ebenso für Entwicklungen zum autoritären Staat. Es geht um hundertfache rechte Gewalt (in 698 Fällen nur in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres mit über 300 Verletzten), um Brandanschläge, um bedrohliche Aufmärsche wie die in Chemnitz – und um über 150 Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt seit 1990. Das alles ist weder „aushaltbar“ noch hinnehmbar, sondern braucht Protest und Widerstand gerade auch aus der Zivilgesellschaft.
Peter Christian Walther, Frankfurt a. M.
Mut zur Gewaltlosigkeit?
„Kokett und gefährlich“, taz, 29. 1. 19
Gut gebrüllt, Löwin! Ergänzung: Bettina Gaus widerspricht in ihrem Debattenbeitrag zur politischen Gewalt gut formuliert der intensiven Schilderung von Lalon Sander in der taz vom 15. 1. 19, in der die Parole „Keine Gewalt“ als unzulänglich dargestellt wurde. In der Tat ist es fatal, wenn Fundamente des friedlichen Zusammenlebens in Abrede gestellt werden. Richtig sind die Verweise auf Notwehr und Solidarität, unterstützenswert ist das Denken über ein Entweder-oder hinaus. Für das konkrete Verhalten zu rechter Gewalt und teilweisem Staatsversagen „sind Aufrufe zur Gewalt immer falsch“ – bravo. Leider deutet Gaus kaum Lösungsperspektiven an, bleibt bei Aufruf und Debattenkultur stehen. Wäre es nicht endlich an der Zeit, auf historische Beispiele zu verweisen und daraus Perspektiven zu gewinnen? Einige auf den weltweiten Rechtsruck sinnvoll anzuwendende bietet das schon 2007 erschienene Buch „Gewaltfrei gegen Hitler?“, das für gewaltfreien Widerstand und Pazifismus plädiert. Eine dringliche Aufgabe unserer Zivilgesellschaft ist es, sich mit Zukunftsszenarien zu beschäftigen, die ökonomische, politische und Meinungsmonopole infrage stellen. Dazu gehört auch die Staatskritik und der Mut, in der taz für eine Entwicklung zur gewaltfreien und herrschaftslosen Gesellschaft zu schreiben.
Georg Fischer, Schefflenz
„Antideutsch“?
„Die Nation ausbremsen“,
taz vom 29. 1. 19
Für mich ist es schon schwer erträglich, dass eine Zeitung wie die taz sich auf der einen Seite betont antirassistisch gibt, auf der anderen Seite aber genau in diese Spur gleitet, wenn es um „Deutsches“ geht. Wie kann es sein, dass das Wort „antideutsch“ durchgeht? Antisemitisch sein ist strafbar, antiislamisch in höchstem Maße unmoralisch, aber antideutsch – das scheint zu gehen. Wie kann im Text der Satz „würde ein wesentlicher Teil der deutschnationalen Identität sterben“ übersehen werden, um dies dann im Kontext auch noch zu begrüßen? Würde die taz auch ungerührt drucken, wenn man in diesem Satz das betrachtete Objekt ändert, etwa dergestalt: „Das Kopftuchverbot ist im Wesentlichen antiislamisch. Denn mit seiner Durchsetzung würde ein wesentlicher Teil der islamischen Identität sterben“? Sicher nicht, aber bei „deutsch“ scheint vieles möglich zu sein, was sonst absolut abgelehnt wird. Dabei sind die Deutschen auch nur Menschen, und auch Männer, die in dem Artikel als „immer auch ein bisschen dreckig“ beschrieben werden. Eine solchermaßen beschriebene Identität des türkischen Mannes wäre ein Fall für ein NPD-Magazin und eine Beleidigungsklage.
Warum dieses Messen mit zweierlei Maß, wenn es um deutsche Identität geht?
Bernhard Thomas, Germering
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