wortwechsel: Falsch, Fälscher, Twitter?
Schriftsteller erfinden, in öffentlicher Rede gelten nur Fakten? Robert Menasse kann beides, will aber manchmal nicht. Robert Habeck kann kein Twitter und will auch kein Facebook mehr
„Fälschen für Europa“ taz vom 4. 1. 19
Es waren „ideale Reden“
Ich kann den Vorwurf nicht nachvollziehen. Menasse und Relotius lassen sich nicht vergleichen – der eine ist Romanautor, arbeitet also fiktional, der andere Journalist, er hat es also mit Wirklichkeit zu tun. Wahrscheinlich haben viele Leser des Romans „Hauptstadt“ es wie ich gehalten: Sie haben recherchiert, ob es die im Text angesprochenen Reden wirklich gibt. Es ließ sich schnell herausfinden, dass es sie nicht gibt.
Ich habe das aber nicht als Fälschung gesehen, schließlich hat Menasse einen Roman geschrieben. Er durfte solche „idealen Reden“ erfinden. Und – das muss man ihm lassen – er hat gut erfunden.
Diese Reden hätte es geben sollen! Claus Schlegel auf taz.de
„Ein“ Gründungsmythos?
Robert Manesse hat in den zitierten politischen Äußerungen den überspannten Versuch unternommen, die Idee einer Europäischen Republik als logische Folge des Zivilisationsbruchs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darzustellen. In seinem Roman „Die Hauptstadt“ lässt er diesen Versuch, Auschwitz und seine Überlebenden für den Gründungsmythos der Europäischen Union zu instrumentalisieren, scheitern, und zwar nicht an irgendeinem Bürokraten sondern an Romano Strozzi, dem Kabinettschef des Kommissionspräsidenten. Dieser Mann, der nicht ohne Selbstironie in dem Roman von sich sagt „L’Europe, c’est moi“ blickt nicht nur auf eine Familientradition im Dienste europäischer Mächte zurück, sondern vereinigt unter seinen Vorfahren auch Faschisten und Widerstandskämpfer, Nationalisten wie überzeugte Europäer. Die Bandbreite der Strömungen, aus denen sich der europäische Einigungsprozess speist, wird in seiner Person deutlich. Warum Manesse im politischen Diskurs die differenzierte Sicht seiner Romanperson auf den europäischen Einigungsprozess nicht zulässt, sondern daran festhält, dass es den „einen“ Gründungsmythos geben müsse, bleibt für mich als Leser seines hervorragenden Romans „Die Hauptstadt“ ein Rätsel. Martin Leder, Dresden
Intellektuell unredlich
Liebe tazler/Innen, ja, das regt mich auf, dass die taz mit einem solchen wirren Kommentar aufmacht. Geht es auch eine Nummer kleiner? Und das gegenzuschneiden zum Fall Relotius ist einfach intellektuell unredlich, ganz abgesehen von der „Steilvorlage“ am Schluss des Kommentars für die FPÖ. Schön, jetzt darf ich als taz-Leser auch noch Propaganda für die eingefleischten Europafeinde lesen.
Hans-Heinrich Thormeyer, Berlin
Die europäische Idee
Die Kritik an Robert Menasse ist, abstrakt betrachtet, durchaus nachvollziehbar. Bei genauerem und weniger aufgeregtem Hinsehen, nicht zuletzt nach Menasses Antwort auf das vermeintliche Zitate-Skandalon und seiner hiernach glaubhaften öffentlichen Entschuldigung, sollte allerdings der wirklich wichtigen Intention des österreichischen Schriftstellers – die nachdrückliche Hervorhebung der europäischen Idee und der unabdingbaren Notwendigkeit einer integrativen Fortführung – wieder mehr Raum gegeben werden. Die Nichtvergabe der Carl-Zuckmayer-Medaille an Robert Menasse wäre ein großer Fehler und falscher Fingerzeig. Überdies hat die (bislang ungleichgewichtige) Diskussion um historische Fakten und literarische Adaptionen freilich auch definitiv etwas Gutes, trägt sie doch zur geschichtlichen Aufklärung und Einordnung bei.
Matthias Bartsch, Lichtenau-Herbram
Wirkt ohne Hallstein
Es ist eigenartig: Bei Witzen scheint jeder hinzunehmen, dass sie wie von selbst, ohne namentlichen Urheber, im Zwischenraum der Menschen entstehen, während bei klugen Gedanken jeder das Bedürfnis verspürt, sie unbedingt als Zitat eines berühmten Menschen zu adeln, als ob kluge Gedanken nicht aus eigener Kraft entstehen und sich verbreiten könnten, so wie Witze es tun.
Die von Menasse geäußerten Gedanken zur Europäischen Republik jenseits der zänkischen Einzelstaatlein sind an und für sich überzeugend, dazu benötige ich die Zuschreibung an einen Hallstein nicht – bis jetzt wusste ich nicht mal von dessen Existenz.
Aber in der politischen Argumentation geht es um Effekte und Wirkungen. Vielleicht versuchte Menasse mit dem Rückgriff auf angebliche Reden eines CDU-Politikers, Bündnispartner unter den Konservativen zu akquirieren. Dabei hat er stärker auf die Wirkung denn auf die szientifische Zitiergenauigkeit geachtet.
So what? Wenn man so will, kann man darin eine hegelianische „Setzung der Voraussetzungen“ sehen, wie Slavoj Žižek sie in „Weniger als nichts“ ausgiebigst besprochen hat. Riccardo Escher, München
„Habeck schießt den Vogel ab“,
taz vom 8. 1. 19
Wer twittert, hupt und tut
Liebe Genossinnen, liebe Genossen, ich frage euch allen Ernstes, was diese Welle „Habeck raus aus den sogenannten sozialen Netzwerken“ soll. Das ist doch völlig wumpe, wer da twittert, hupt oder sonst was tut. Interessiert alles null und ist wohl nur für die wichtig, die damit Geld verdienen oder nicht wissen, was sie sonst noch mit sich anfangen sollen.
Weshalb nimmt die taz an diesem hysterischen Geschrei teil? Messen wir Politiker doch einfach an dem was sie tun oder nicht tun. Das reicht.
Roderich Keil, Bielefeld
Recht und Demokratie
Zumindest kann es nicht sein, dass aus der Magenauswurfmaschine Twitter dieselben Konsequenzen abgeleitet werden wie aus einer parlamentarischen Ansprache. Und die abgeschwächte Aussage war in beiden Fällen: Rechts will die Demokratie abschaffen, oder habt ihr aus 1933 nix gelernt? Wo Habeck recht hat, hat er recht. Aber eben nur Twitter-recht.
Briefkasten auf taz.de
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