piwik no script img

wortwechselWeiterhin ungelöst: die soziale Frage

200 Jahre Karl Marx und immer noch Proletariat und Kapitalismus. Grüne hypen jetzt Gentechnik. Der Umgang mit dem Kopftuch bedarf eines anderen Blickwinkels

Doppelt frei

„Die Erfindung des Proletariats“,

taz vom 5/6. 5. 18

Es ist mir neu, dass Marx das Proletariat erfinden musste! Sicher war um 1845 das Industrieproletariat zahlenmäßig noch nicht so stark ausgeprägt. In einigen deutschen Staaten aber war es unübersehbar (zum Beispiel in Sachsen, im Westen Preußens). Für die Klassendefinition Proletariat – der Proletarier ist ein doppelt freier Lohnarbeiter (persönlich frei und frei an Produktionsmitteln, also Grund und Boden und/oder Produktionsinstrumenten), der nichts zu verkaufen hat, als seine Arbeitskraft – ist es unerheblich, ob die Maschinen einer Fabrik von einer qualmenden Dampfmaschine oder einem rauschenden Mühlbach samt klapperndem Mühlrad angetrieben wurde.

Das tatsächlich älteste Proletariat, das auch zu Marx’Zeit noch existierte und nicht in den Handwerkerstand erhoben worden war, wie zum Beispiel Drucker oder Papiermüller, war das Manufakturproletariat. Auf dieses trifft die Klassendefinition zu und es speiste sich nach dem Dreißigjährigen Krieg aus den gleichen oder ähnlichen Klassen und sozialen Schichten und Gruppen wie später das Industrieproletariat. Wo Manufakturisten auftauchten, gab es in den Städten auch schon ähnliche soziale Konflikte und Spannungen mit dem Kleinbürgertum und Bürgertum, denn dem Manufakturproletariat mangelte es an Hausbesitz, weshalb sie keine Bürger waren. Es ist dabei auch völlig unerheblich, ob diese Manufakturisten Schönes und Begehrtes herstellten, wie Porzellan und Fayencen oder in einer Gewehrmanufaktur oder einer Drahtzieherei malochten.

Heute wird der Begriff Manufaktur meist als verkaufsträchtiger Marketingbegriff, häufig unzutreffend, verwendet und weniger mit der Entstehung des Proletariats verknüpft. Steffen Förster, Meißen

Im feinen Zwirn am 1. Mai

„Die Demo von gestern“, taz vom 2. 5. 18

Das war aber wieder fein, wie die Gewerkschaftsvorstände in der ersten Reihe der Protestmarschierer die Plakate vor sich herschoben. In ihrem feinen Zwirn, mit saloppen Freizeitjoppen, um nach ihresgleichen auszusehen, nur dass nicht einer von ihnen mit weniger als 15.000 Euro oder mehr monatlich auskommen muss, um gegen die „Alimentierten“, Arbeitslosen, „Aufstocker“ und Benachteiligten und deren gefordertes bedingungsloses Grundeinkommen zu wettern und dieses als unwürdiges Alimentieren zu beschimpfen. Man sollte diese Leute einfach verstehen. Sie wären mit dem bedingungslosen Grundeinkommen übrig, wie auch die „Gequälten“. Paul Stöpel, Lennestadt

Wer soll das bezahlen?

„Wer saniert die Stadt“, taz vom 2. 5. 18

Stadtsanierung mit ÖPP? Der taz-Reporter schreibt, der Labour-Bürgermeisterin „blieb nur die Suche nach privaten Investoren im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften“, da die konservative Regierung die kommunalen Sozialausgaben gekürzt hatte. Die Investition von 4 Milliarden Pfund für 6.400 neue Wohneinheiten lobt er als „ambitioniertesten Stadtentwicklungsplan des Landes“. Umgerechnet sind das 700.000 Euro für eine Wohnung. Wer soll das denn bezahlen? Die 9.000 Wohnungssuchenden auf der Warteliste? Dass offenbar die Mehrheit der Labour-Mitglieder diese Politik beendet hat und die Bürgermeisterin zum Rücktritt zwang, nennt der Autor einen „Putsch der Corbyn-Basis“. Ich verstehe, dass der taz-Reporter aus dem Wahlkampfbüro rausgeschmissen wurde (wenngleich ich es nicht gutheiße). Ulrich Memmler, Dörsdorf

Ein Beitrag zur Wahrheit

„Born to be Winterkorn“, taz vom 8. 5. 18

Kompliment an Reinhard Umbach für sein gelungenes Gedicht „Born to be Winterkorn“. Ein schöner Beitrag zur Wahrheit! Lothar Picht, Sandhausen

Gibt es auch Jung-68er?

„Sie haben uns den Frühling gestohlen“, taz vom 9. 5. 18

Dass Rechte sich des Vokabulars von 68 bemächtigt haben, ist blöd, aber blöd ist auch, den Begriff Alt-68er zu benutzen. Gibt es denn auch Jung-68er? Vor dem Jahr 2068 doch wohl eher nicht. Gabriele von Thun, Bremen

So ein Schmarren

„Hofreiter und KGE: Absteiger wider Willen“, „Gegen neue Gentechnik“, taz vom 30. 4. 18

Was die beiden Grünen-Vorsitzenden, Annalena Baerbock und Robert Habeck, da für Ideen über den Nutzen von Gentechnik losgelassen haben, ist ein nicht entschuldbares Vergehen an den Grundsätzen der Ökopartei. Schon die Ansage, dass durch Genmanipulation – egal ob herkömmliche oder CRISPR-Cas – die Pflanzen mit ganz wenig oder gar keinem Wasser auskommen, lässt einem den Atem stocken. Nicht einmal ein militanter Gentechniker glaubt an so einen Schmarren. Aber die noch wahnwitzigeren Versprechungen zu der roten Gentechnik, die die beiden losließen, übertreffen alles, was die Gen-Lobby an Menschheitsträumen in den letzten 30 Jahren in die Welt gesetzt hat. Pflanzen, die ihre Assimilate ohne oder mit ganz wenig Wasser aufbauen, obwohl sie meist bis zu 90 Prozent aus Wasser bestehen, und Menschen, die von allen Krankheiten geheilt werden und gar zum Schluss nicht mehr sterben, ein Geheimnis, von dem die Menschen schon immer geträumt haben.

Nur gut zu lesen, dass es Frau Künast wagt, dagegen auch etwas zu sagen. Für mich ist nach 38 Jahren unter diesen Vorsitzenden bei den „Grünen“ kein Platz mehr. Meinen Austritt habe ich schon verkündet. Willi Stritzinger, Klingenberg

Das hilft der AfD

„Der Adel beim Hartzen“, taz vom 9. 5. 18

Die Aussagen von Herrn Bundesminister Spahn (CDU) sowie Herrn Peter Hartz (SPD) zum komplexen Thema „ALG II“, sorgen dafür, das die AfD sowie weitere extreme politische Parteien/Organisationen weiterhin Sympathisanten und Mitglieder bekommen. Es ist einfach eine Blamage, wie Mitglieder von demokratischen Parteien aber auch diverse private Medien mit ihren Aussagen die Demokratie in diesem Land gefährden. Zu dumm, dass viele Sozialfälle die diversen Sendungen freudig am Fernseher verfolgen, statt diese zu ignorieren. Mehr gesellschaftliches Engagement würde vielen Sozialfällen helfen, ihr Image in der Gesellschaft aufzuwerten, statt die Klischeevorstellungen zu bedienen.

Die Aufstockung beim Mix zwischen ALG I/ALG II übersteigt nicht das ALG-II-Niveau, welches als Grundsicherung eingeführt wurde, es sei denn, die Einkommen steigen massiv, was aber kaum anzunehmen ist. Die Aussage: „Jeder könne jede Arbeit machen und müsse jede Arbeit annehmen“, erinnert sehr stark an eine Zeit die wir nicht wieder haben möchten, oder doch? Wie wär’s, wenn sich Herr Spahn und Herr Hartz beruflich im Pflegedienst betätigen, um endlich soziale Kompetenz zu erlangen? Ralf Kuke, Erfurt

Machtgefälle

„Strukturen des Missbrauchs“, taz vom 4. 5. 18

Wieso wird dieser Artikel von einem Foto begleitet, auf dem die Unterseite des Gesäßes einer Turnerin mittig prangt? Schlimmer ist allerdings noch die Bildunterschrift, in der es heißt „Hilfestellung: Nähe kann zum Problem werden.“ So als seien die Berührungen bei einem sexuellen Missbrauch eine Art „Missverständnis“, die Missbrauchten quasi nur „überempfindlich“. Die Absicht und Qualität der Berührungen bei einem Missbrauch und bei einer Hilfestellung sind grundverschieden. Der Missbrauch entsteht nicht akzidentell. Auch ist nicht vorrangig die „Nähe“ das Problem, sondern die Ausnutzung und der Missbrauch eines Machtgefälles. Dies ermöglicht sexuelle Übergriffe in allen Kontexten begonnen bei Familien, Schulen, Internaten, Kindergärten, Arbeit, Ausbildung, Kunst und natürlich auch Sport. Andrea Schiffers, Stuttgart

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen