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Warum wird der Jim-Knopf-Film nur hinsichtlich seiner politischen Korrektheit rezensiert? „Judenhass“ statt „Antisemitismus“? Man „füttert“ keine Menschen!

Solomon Gordon als Jim Knopf und Henning Baum als Lukas Foto: Ilze Kitshoff

„Lummerland 2.0“, taz vom 18. 4. 18

Political Correctness

Ich würde mich durchaus als Anhänger politischer Korrektheit bezeichnen und habe mich oft gefragt, was deren Verächter eigentlich für ein Problem haben. Dank des Artikels „Lummerland 2.0“ habe ich zum ersten Mal ein Gefühl dafür bekommen. Denn ich habe anfangs irrtümlich geglaubt, Thema des Artikels sei eine Filmkritik. Erst im Laufe der Lektüre wurde mir klar: Es ist eine Kritik einzig und allein unter dem Gesichtspunkt der politischen Korrektheit des Films. Eine Würdigung unter künstlerischen Gesichtspunkten findet nicht statt.

Knüpft die Bildsprache des Films an die berühmten Inszenierungen der Augsburger Puppenkiste an, die vielen Kinobesuchern als Vergleichspunkt ähnlich präsent sein werden wie das Buch? Man erfährt es nicht. Hier wird eine komplette Seite der taz ausschließlich der Kritik von rassistischen und sexistischen Details gewidmet, bei einem Werk, dessen Vorlage der taz-Autor als insgesamt „in Intention und Botschaft nicht rassistisch“ anerkennt. Der Film ist nicht etwa Inhalt des Artikels und wird darin auch(!) auf Rassismus und Sexismus hin befragt, sondern umgekehrt: Rassismus und Sexismus sind Inhalt des Artikels, und der Film wird als Exempel benutzt. Schade, der Film hätte mich nämlich interessiert! Gar nichts an diesem Artikel ist inhaltlich falsch – aber worauf polemische Attacken gegen Political Correctness eigentlich zielen, kann ich plötzlich verstehen. Reinhard Ardelt, Kassel

Kolonialisten-Gen

Sorry, aber solche Artikel haben für mich nicht ansatzweise mehr etwas zu tun mit einer wirklich kritischen Rezeption eines Kinderbuches und seiner Verfilmung. Alleine schon das N-Wort ist für mich ein absolutes Unwort und erinnert mich eher an die „Du-weißt-schon-wer“-Sprachgepflogenheit aus „Harry Potter“, das Übel nicht beim Namen zu nennen. Aber wie wir alle wissen, grassieren Rassismus und jegliche Form von Menschenverachtung gerade auch in solchen Kreisen, wo man „Kindern den Mund mit Seife ausspült“, die dreckige Wörter sagen. Dem Phänomen des Rassismus und dem Tatbestand, dass wir alle uns immer und auch immer wieder erneut in Denkmustern und Rollenklischees bewegen, kommen wir nicht mit erhobenem Zeigefinger bei, sondern mit der Erkenntnis, dass die Neigung, andere immer wieder klein zu machen und zu demütigen, in uns allen sehr schnell abrufbar ist.

Ich arbeite als Künstlerin, und mir ist es sehr wichtig, auf der Bühne Erwartungsmuster und Klischees immer wieder zu brechen. Aber das gelingt eben nur, wenn man Böses zeigt und beim Namen nennt. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir im Umgang mit Schwarzen in unserer Gesellschaft seit Vermeidung der besagten „N-Wörter“ und einer absolut unerträglichen Debatte über Kinderbücher aus früheren Jahren auch nur einen Deut weitergekommen sind, was unsere rassistische Grundhaltung als Weiße betrifft. Wir sollten alle zur Kenntnis nehmen, dass das Kolonialisten-Gen unerträglich tief in uns verankert und gesellschaftlich wie außenpolitisch äußerst virulent ist, und niemand sollte sich davon ausnehmen. Ihr-wisst-schon-was-ich-meine … Hildegard Meier, Köln

Schlüsselerlebnis

Ich habe den Film nun siebenmal gesehen, weil die Geschichte als Kind wie als Erwachsener ein Schlüsselerlebnis für mich ist. Ich konnte jedes Mal im Kino weinen, lachen und viele neue Aspekte finden, die das eigene Nachdenken an­regten.

Roman Hocke, Lektor von Michael Ende, war Creative Producer, sodass man davon ausgehen kann, dass die neuen Aspekte Michael Ende gefallen hätten. Zum Beispiel sagt Lukas: „Lokomotiven fahren auf Schienen, damit sie immer in der Spur bleiben. Wenn ich aber von hier weggehe, kann ich fahren, wie immer ich will.“ Ausgesprochen von Henning Baum mit unglaublicher Wärme und Präsenz, die ich ihm nie zugetraut hätte.

Das Leben auf Lummerland wird doch gerade so beschränkt beschrieben, weil es darum geht, von dort aufzubrechen und seinen Horizont zu erweitern. Lukas: „Vielleicht ist das alles hier gespielt, vielleicht gibt es dich und mich ja gar nicht. Aber dass Frau Waas dich liebt, das ist echt.“ Gegen Ende beißt Jim beherzt in ein Stück Kuchen, Li Si räuspert sich, man erwartet, dass sie vielleicht auf das Essen mit Stäbchen hinweisen möchte, aber nein, sie hat die Vorzüge einer Gabel entdeckt – welch feiner Humor und eine der schönsten Szenen im Film. Gleich darauf wird gezeigt, dass Jungen wie Mädchen, eben einfach alle Kinder, gern Streiche spielen.

Lalon Sander übersieht all diese Details. Würde man das umsetzen, was er fordert, würden die meisten Rezensenten schreiben: „Der Film möchte zu viel.“ Der Film, so mein Fazit, leistet so, wie er ist, Enormes. Ebenso wie das Buch, das Hörspiel, die Puppenkiste-Verfilmung. Danke für diese Erzählung und Verfilmung.Thomas Stuchlik, Wolfsburg

Antisemitismus?

„Schläge mit dem Gürtel“, taz vom 18. 4. 18

Ich würde gerne wissen, was es mit Antisemitismus zu tun hat, wenn ein wahrscheinlich muslimischer Semit auf einen jüdischen Semiten losgeht, weil dieser Jude ist. Da Araber und Juden beide der semitischen Volksgruppe zuzuordnen sind, kann man doch nicht von Antisemitismus sprechen, sondern vom Judenhass oder Angriff auf die Religionsfreiheit. Ich schreibe Ihnen das nur, weil ich das Problem auch habe, da ich Berber bin und immer fälschlicherweise als Araber bezeichnet werde, weil ich zusätzlich zu den anderen vier Sprachen, die ich beherrsche, auch Arabisch sprechen kann. Abdeloihab Jahjah, Berlin

Absolutes No-Go

„Voll auf Liebe programmiert“, taz vom 14. 4. 18

Liebe Frau Stöckel und Frau Mnich, in Ihrem Beitrag „Voll auf Liebe programmiert“ verwenden Sie wiederholt das Wort „füttern“ und meinen damit die Tätigkeit des Darreichens von Mahlzeiten. „Füttern“ ist eigentlich in diesem Zusammenhang ein absolutes No-Go – schon seit über 20 Jahren verwendet man diesen Begriff nicht mehr in der Pflege und spricht stattdessen von „Essen reichen“. „Füttern“ ist mittlerweile genauso obsolet, wie von „Negern“ zu sprechen, wenn man Schwarzafrikaner meint. Bitte verwenden Sie dieses Wort in Zukunft nicht mehr, wenn sie das Reichen von Mahlzeiten bei Menschen meinen. Man füttert eine Katze oder einen Hund, aber keinen Menschen mit Hilfebedarf. Dirk Stallmann, Herdecke

Schöne neue Welt!

„Die große Verunsicherung“, taz vom 19. 4. 18

Was sagbar und was unsagbar ist, ist durch eine klare Grenze definiert, die das Strafgesetzbuch zieht. Volksverhetzung zum Beispiel steht deshalb und zu Recht unter Strafe. Nun ist auch das Strafgesetzbuch etwas Dynamisches, und auch Kommunikation kann und sollte verhandelt werden, aber hoffentlich nie so, wie das Lin Hierse vorschwebt. Ihr Ansatz ist nämlich im Kern massiv illiberal und antidemokratisch:

Wer die Definitionsmacht oder auch nur die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sprachlichem allein den tatsächlich oder vermeintlich Betroffenen überlassen will, sollte das konsequent zu Ende denken: Frauen sollten dann nicht mehr zu Männern forschen dürfen, die nicht zu Frauen forschen dürften, womit etwa die vergleichende Geschlechterforschung tot wäre; Rechtsradikale sollten selbstverständlich das Recht haben, sich die Zuschreibung „Nazi“ zu verbitten, falls sie sich davon betroffen fühlen.

Ganz offensichtlich würde damit jeder Diskurs atomisiert und das „freie Prozessieren“ (Jürgen Habermas) verunmöglicht. Schöne neue Welt! Dass der MDR seine Sendung abgesagt hat, ist deshalb mehr als unglücklich. Denn man mag es zwar nicht mögen, aber auch Frauke Petry und Peter Hahne sind Teil des Diskurses.Markus Holt, Haltern am See

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