wortwechsel: Geduldeter Antisemitismus?
Demonstration am Brandenburger Tor schockiert. Antisemitismus in Berlin – importiert oder schon wieder hausgemacht? Und wie frei ist die Wahl in Katalonien – mit Militärpräsenz?
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Kataloniens Wahl
betr. „Caldentey hält die Fahne hoch“,
taz vom 19. 12. 17
Seit über zwei Monaten sind Parteiführer der Unabhängigkeitsbewegung in Untersuchungshaft; ein Teil der Regierung ist nach Belgien geflüchtet. Das Gefühl, dass es nicht um eine normale Wahl geht, liegt nicht nur an der rechtlichen Situation der Parteiführer, sondern auch an den Aktionen die der spanische Staat in Katalonien durchführt. Zurzeit macht die spanische Armee Manöver auf den Straßen in Tarragona, einer Stadt im Süden Kataloniens. Und die zentrale Wahlbehörde erlaubt keine Demonstrationen für die Befreiung der politischen Gefangenen, lässt es jedoch zu, dass rechtsextreme spanische Nationalisten vor dem Parteihauptquartier der Unabhängigkeitsparteien demonstrieren. Als ob das nicht genug wäre, hat der Staat die Stimmenauszählung an die Firma INDRA vergeben, ohne öffentliche Ausschreibung, aus Gründen der „nationalen Sicherheit“. INDRA ist ein Unternehmen, das in einen Korruptionsfall der PP verwickelt ist. Das größte Problem aber ist, dass viele Katalanen nicht das Gefühl von einer fairen Wahl haben, sondern glauben, dass die spanische Regierung die Wahl manipulieren wird, um sie zu gewinnen. Die spanische Regierung kann noch so oft wiederholen, dass die Wahl am 21. Dezember eine reguläre Landtagswahl ist, doch angesichts der oben genannten Umstände können wir nicht von einer Wahl mit allen demokratischen Garantien sprechen.
Marlen Niubó Edeler, Teià, Katalonien
Berlins Antisemiten
betr. „Wir doch nicht“,
taz vom 16. 12. 17
Zu Recht wird dieser Tage das jüngst stattgefundene Verbrennen der Israel-Flagge vor dem Brandenburger Tor in allen Medien angeprangert. Wieso wird aber nichts darüber berichtet, dass palästinensische oder türkische Demonstranten dort öffentlich den Hitler-Gruß gezeigt haben? Eine Schande, über diese Schande nicht zu berichten, diese nicht anzuklagen und anscheinend verschleiern zu wollen, dass wir auch ein Problem mit faschistischen Strömungen unter Einwanderern haben – zum Beispiel einer steigenden Anzahl der Grauen Wölfe. Bekannte in Amerika und Australien sind entsetzt, was im Zentrum Berlins geschehen ist, geschehen „durfte“ und dass darüber auch noch geschwiegen wird. Sabine Conrad, Berlin
Die deutsche Kirche
betr. „Wir doch nicht“,
taz vom 16. 12. 17
Es hat lange gedauert, bis die evangelischen christlichen Kirchen in Deutschland ihre historische Mitschuld an Judenhass und Antisemitismus und letztlich am Holocaust erkannt und bekannt haben: „Von Christen wurde der auch in der Völkerwelt vorhandene Judenhass verschärft und brachte Verfolgung, Mord und Vernichtung hervor. Das unheilvolle Erbe dieses Hasses ist in Theologie und Kirche wirksam geblieben.“ (Leitsätze des Reformierten Bundes „Wir und die Juden – Israel und die Kirche“, 1990). Ich verstehe diese Aussage in erster Linie als unbedingten Auftrag an die Kirchen und ihre Mitglieder allen Formen des Antisemitismus, Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit (denn diese Erscheinungen treten meist zusammen auf) durch Aufklärung in ihrer Verkündigung, Öffentlichkeitsarbeit und den weiteren Arbeitsfeldern entschieden entgegenzutreten. W. F. Trebeis, Lüneburg
Für die Differenzierung
betr. „Wir doch nicht“,
taz vom 16. 12. 17
Mein Vater hat mir nach dem Krieg vom Verbrechen der Deutschen in Russland erzählt, und ich habe daraufhin 1956 als Filmreferent im Gymnasium die Filme „Nacht und Nebel“ über die – bis dahin ignorierten – KZs in der Schule gezeigt. Von Luther bis zu den Nazis finde ich Antisemitismus widerlich und gefährlich. Muss ich dann aber die Menschenrechtsverletzungen der Israelis, das schlechte Vorbild der Missachtung unzähliger UN-Resolutionen und das Besatzungsregime in Ordnung finden? Nur, um mich nicht als Antisemit beschimpfen lassen zu müssen?
Hanspeter Maier, Mörfelden
Israels Politik
betr. „Wir doch nicht“,
taz vom 16. 12. 17
Ein Artikel, in dem pauschal alle Gegner der israelischen Annexionspolitik in den Pott des Antisemitismus geworfen werden. Eigentlich bleiben nur jene guten Bürger übrig, die sich angewidert vom „Mob“, sprich von den betroffenen Palästinensern und ihren Freunden, distanzieren. Israel muss die besetzten Gebiete räumen und mit dem Gebiet zufrieden sein, das vom Völkerbund zugestanden wurde. Es gibt nicht wenige Juden, die genau das vertreten, zum Beispiel Ilan Pappe: „Die ethnische Säuberung Palästinas“ oder Shlomo Sand: „Die Erfindung des Landes Israel“. Will der Verfasser sie auch in seinen Pott des Antisemitismus werfen, zusammenverrühren mit ein paar ungebildeten arabischen Fahnenanzündern (vergleichbar mit den israelischen Jugendlichen, die in Jerusalem T-Shirts mit der Aufschrift „Kill Arabs“ tragen) und unbelehrbaren deutschen Nazis? Harald Forst, Münster
Deutschlands Geschichte
betr. „Wir doch nicht“,
taz vom 16. 12. 17
Unser Land kann viele Länder kritisieren: Israel nicht. Nehmen wir China, andere Schurkenstaaten oder unseren subtilen, der eine merkwürdige Vorstellung von Fürsorge hat, was Schwache angeht: Pflege-TÜV und Dokumentation. Dies ist ein Land, das die Gestapo hatte, danach eine Stasi, beispiellose Verbrechen begangen und danach eine Mauer im eigenen Land gebaut hat, Menschen dann erschossen. Dies ist ein Land, das einfach die Klappe halten sollte, mindestens so lange, bis alle nicht mehr leben, die wissen, wozu Deutsche in der Lage sind.
Der rechte und der linke Antisemitismus haben dieselbe Wurzel.
Das wollten Linke nie sehen und davon wollten sie nichts wissen.
Martina Lenzen, München
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