workstation was ist das?: Die Arbeiterin an der Arbeit
Frauke Hehl will selbstbestimmt leben. Deshalb experimentiert die Mitinitiatiorin der "Workstation" in Berlin seit zehn Jahren mit alternativen Lebens- und Arbeitsformen. Ab heute stellen diese ihre Ideen stadtweit in der Kampagne "unvermittelt" vor.
Ab heute gibt es in Berlin fünf Wochen lang Aktionen, die die ungerechte Verteilung von Arbeit thematisieren. Die Kampagne "unvermittelt" wird von der Workstation-Ideenwerkstatt und der "AG unvermittelt" der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) organisiert.
Auftakt ist die heutige Demonstration zum Thema: "Gebt der Arbeit eine Chance". Demonstriert wird für die Abschaffung von Arbeitsanwesenheits- und Bereitschaftszwang sowie für die Abschaffung unausfüllbarer Formulare und für den angstfreien Jobverlust. Beginn 12.30 Uhr vor der NGBK, Oranienstr. 25
Des Weiteren gibt es den "Private emission trade". Das ist eine Firma, die prüft, ob Autofahrer im Stadtgebiet für ihre Autofahrten bereits Emissionsrechte erworben haben. Wenn nicht, verkaufen sie ihnen ihre Emissionsrechte. Mit dem eingenommenen Geld werden Arbeitslose finanziert, da diese - das wurde wissenschaftlich bestätigt - weniger Emissionen verursachen.
Ein "Ausgliederungsservice" wird ebenfalls im Stadtraum aktiv. Die Arbeitsagentur verlangt ja von Arbeitslosen, dass sie einen Eingliederungsvertrag unterschreiben. Eine Farce, da die Vertragspartner nicht gleichberechtigt sind, kritisieren die Akteure der Kampagne unvermittelt. Wer bei den Aktionen auf dem Oranienplatz und vor Jobcentern - welche genau, das wird im Voraus nicht bekannt gegeben - einen Ausgliederungsvertrag unterschreibt, macht also deutlich, dass er die Farce durchschaut.
In mehreren Aktionen wird zudem versucht, Arbeitslose in Lohnarbeit zu bringen, und die Schwierigkeiten, die dabei entstehen, werden dokumentiert. Diese Dokumentationen sollen das Missverhältnis zwischen dem, was die Menschen mitbringen, und dem, was von Unternehmen eingefordert wird, sichtbar machen.
Bei informellen Treffen werden Arbeitslose außerdem den Mitarbeitern von Jobcentern erklären, was Arbeitslosigkeit und der gesellschaftliche Umgang damit mit ihnen macht. Umgekehrt erklären Mitarbeiter von Jobcentern den Arbeitslosen, wo sie sich unverstanden fühlen.
Nicht zuletzt gibt es die Woche des Grundeinkommens. Sie findet vom 16. bis 21 September statt und wird an vielen Orten in Berlin Werbung für die Einführung eines Grundeinkommens machen. WALTRAUD SCHWAB
Die Ergebnisse der Kampagne werden im Dezember in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst gezeigt. Info unter: www.unvermittelt.net
Frauke Hehl hat drei Tätowierungen. Denn sie will "Zeichen setzen" - auf der eigenen Haut genauso wie in der Gesellschaft. Das neueste Tattoo, eine Rose mit schwarzem Stern, hat mit ihrer Arbeit bei "Workstation" zu tun. Vor zehn Jahren hat sie die Ideenwerkstatt, in der nach Alternativen zur Erwerbsarbeit gesucht wird, mit anderen gegründet. Bezahlte Arbeit gibt es zwar nicht mehr für alle, aber dennoch entscheidet diese bis heute darüber, ob jemand für die Gesellschaft wertvoll ist oder nicht. "Inakzeptabel" findet Hehl das und setzt das Motto der Workstation dagegen: "Mach doch, was du willst."
Die Rose mit Stern trägt Hehl seit diesem Frühjahr auf der Haut. Es ist das Logo des Gartenprojektes Rosa Rose, das 2004 auf einem ehemals brachliegenden Grundstück in Friedrichshain ins Leben gerufen wurde. Vermüllt und verdreckt war es, bis Nachbarinnen zusammen mit Arbeitslosen und Freunden der Workstation aktiv wurden. Kurzerhand wurde das Gelände besetzt und in einen Guerilla-Garten verwandelt. Blumen und Gemüse wurden gepflanzt, ein Spielplatz eingerichtet, Gießwochenpläne eingeführt und von der hundefreien Zone gar Zucchini und Zwiebeln geerntet.
Dieses Frühjahr wurden die Gärtner und Gärnterinnen vom neuen Eigentümer der Stadtbrache, der hier ein Haus bauen will, vertrieben. Politiker hatten das Gartenprojekt wortreich unterstützt. Am Ende allerdings versagten sie, meint Hehl. "Hätten die schneller reagiert, hätten wir das Grundstück selber ersteigern können." Nach dem Sommer will die Partei Die Linke einen Fonds einrichten, um solche Bürgerinitiativen zu unterstützen. Für die Rosa Rose kommt das zu spät. Ein Sicherheitsdienst bewacht die Baugrube nun Tag und Nacht.
"Guerilla-Gardening ist Teil meines Lebensgefühls", sagt Hehl mit fester Stimme. Zwei weitere Gärten wurden von der Workstation initiiert. Sie sind derzeit auf sicherem Boden.
Die Guerilla-Garten-Bewegung kommt aus New York. Schon in den 80er-Jahren besetzten Leute Stadtbrachen und verwandelten sie in Gemeinschaftsgärten. Seither kamen neue Strategien wie das Seedbombing dazu. In Nacht- und Nebelaktionen werden dabei öffentliche Flächen mit politischen Blumenschriftzügen bepflanzt oder einfach wild besät. Aus Protest gegen den Verkauf des Rosa-Rose-Geländes pflanzte Hehl mit anderen Garten-Guerrilleros im Mauerparkt aus Rosen die Forderung "Rosa Rose bleibt".
Die zweite Tätowierung auf Hehls Körper schaut auf der linken Schulter unter ihrem schwarzen Polohemd hervor: Es ist ein handtellergroßer hellblauer Anker, um den sich ein gelbes Seepferdchen schlingt. Vor fünf Jahren ließ sie sich das Motiv stechen.
"Der Anker ist ein Symbol für meine Wurzeln." Das Seepferdchen aber stehe für soziale Gemeinschaft. Gruppenzusammenhalt hätte sie schon als Kind begeistert, meint die gebürtige Hamburgerin. Mannschaftssport etwa, aber auch die vom Krieg geprägte Kultur des Teilens, die ihre Großeltern ihr vorlebten.
Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund erkärt sich die 40-Jährige heute, warum ihr die Idee von Workstation gefiel. Ehrenamtlich leitet sie diese und bringt ständig neue Ideen ein, wie das Thema Arbeit, Existenzsicherung, Lebensgestaltung anders gedacht werden kann. "Arbeit ist bei uns Religion schlechthin", sagt sie. Ihr sei wichtig, den Leuten eine Plattform zu geben, wo sie angstfrei über das nachdenken können, was jenseits von Erwerbsarbeit wertvoll ist.
Das dritte Tattoo hat sie seit 15 Jahren. "Ein blauer Smiley, den nur ich sehe, wenn ich auf die Toilette gehe." Sie lächelt. "Den habe ich mir in Braunschweig machen lassen. Nur für mich."
Dorthin verschlug es sie während des Studiums. Eigentlich war ihr Lebensweg grandioser gedacht, als Braunschweig vermuten lässt. Die Tochter eines Hamburger Steuerberaters begann in Mailand Architektur zu studieren. Geplant war eine Karriere ähnlich der ihrer Geschwister. Nach sechs Jahren Italien, unterbrochen durch Abstecher in Braunschweig, ging sie nach Berlin. "Ich hatte einen Einser-Durchschnitt, aber ich fand das alles sinnlos." Heute ist sie arbeitslos gemeldet.
Hehl begreift ihre damalige Sinnkrise als Motor, der sie aus den Zwängen herausführte, die ihre Eltern mit ihren Erwartungen um sie aufgebaut hatten. Sie wollte, entgegen dem familiären Anspruch, für sich eine alternative Lebensform entwickeln. "Meine Geschwister machten mir große Vorwürfe, als ich das Studium abbrach", erzählt sie. Auch die Mutter tat sich schwer. "Mein Vater hatte noch am meisten Verständnis." Heute verstehe ihre Familie, "dass ich diese Lebensweise selbst gewählt habe".
Die ALG-II-Empfängerin, die Badelatschen trägt und Kleider aus der Spendenbox, sagt: "Es kann nicht jeder so leben wie ich." Sie weiß sehr genau, dass es gerade ihre Herkunft als Tochter wohlhabender Eltern ist, die ihr diese Freiheit ermöglicht. "Ich würde sicher nicht von so wenig Geld leben wollen, wenn ich mal obdachlos gewesen wäre." Ihre Augen wechseln zwischen Strahlen und Ernsthaftigkeit. "Nur weil ich ein so sicheres Elternhaus hatte, erlaube ich es mir, so weit zu gehen und Grenzen auszutesten."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?