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wochenschnackWer braucht die Rote Flora?

Das Autonome Zentrum im Hamburger Schanzenviertel ist in die Jahre gekommen: Am 1. November 1989 wurde es besetzt

Autonomes Zentrum in bester Lage: Hamburgs Rote Flora Foto: dpa

Wie Michel und Dom

Auch wenn die Floristen und ihre konservativen Gegner das nicht gerne hören werden, die Rote Flora gehört heute genauso zur Hamburger Folklore wie Michel und Dom. Sie ist eine Touristenattraktion. Inhaltlich ist sie außerhalb einer sehr kleinen linken Szene natürlich völlig unbedeutend, aber als Einkaufs- und Gastronomiestraße wäre das Schulterblatt ohne dieses etwas gruselige Gebäude etwa so spannend wie die Osterstraße oder die Ottenser Hauptstraße. So umarmt der Kapitalismus seine Gegner und zeigt mal wieder seine Überlegenheit. Ruediger, taz.de

Zieht die Szene runter

@Ruediger Und selbst innerhalb der Linken spielt die Flora ja weiß Gott keine glorreiche Rolle. Sie ist Heimstätte für allerlei liberale bis offen reaktionäre Gruppen und für Partyhedonismus und Drogenkonsum. Da kommen dann tatsächlich mal Leute: zum Feiern in cooler Location.

Wer vor der Flora Plakate gegen TTIP aufhängt, wird gerne mal körperlich angegriffen. Eigene politische Initiative hat die Flora schon lange nicht mehr. Stattdessen zieht die Flora selbst die Szene runter in eine noch stärkere Szenigkeit und behindert längst den Neuaufstellungsprozess der radikalen Linken. Die Rolle zu G20 ist ebenso zweifelhaft.

Wo früher ohne revolutionäre Theorie immerhin noch revolutionäre Praxis war (böse Militanz), ist heute gar nichts mehr. Halt ’ne alternative Partyhöhle und verkrustete Struktur in einer theoretischen Sackgasse.

Gäbe es die Flora nicht mehr, würde es wahrscheinlich der radikalen Linken eher gut tun. Oskar, taz.de

Um Freiräume wurde gekämpft

Als Jugendliche kämpften wir in unserer kleinen Scheiß-Stadt für ein Jugendhaus, ein selbstverwaltetes natürlich.

Und das in einem Landkreis, dessen Landrat über die Scheiß-Zeitung im Hinblick auf die zahlreichen WGs im ländlichen Raum, quasi als Dienstanweisung an die Polizei, sagte: „Fanget dia Kerle und gucket was se treibet.“

Einmal blockierten wir die wichtigste Kreuzung. Ich spüre heute noch die Stoßstange des Autos des entfesselten Bürgers, der sie mir ins Kreuz drückte.

Will sagen: Um Freiräume wurde hart gekämpft, man sollte sie nicht einfach aufgeben. Jim Hawkins, taz.de

Flora bleibt

„Aber hat die Flora noch einen Sinn?“

Sie steht noch. Immerhin.

Und Kaufhausmusik ist ihr fremd.

Als bekanntestes autonomes Zentrum Deutschlands ist die Rote Flora zwar immer auch Anziehungspunkt für stumpfe Militanz und Krawalltourismus, aber davon hat sie sich in den vergangenen Jahren immer wieder klar distanziert.

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Im Nachbarort meiner Wohngemeinde ordnete ein CDU-Bürgermeister Protest gegen einen Auftritt der AfD-Frau von Storch an. Den Gemeindesaal als Auftrittsort mochte/durfte er allerdings nicht verweigern.

„Die Sommer sind so trocken und die Konservativen saugen alles auf.“ Flora bleibt. Lowandorder, taz.de

Folkloreprojekt

Das Gebäude wird in den nächsten Jahren ohnehin von selbst zusammenstürzen. In anderen Städten haben Besetzer es geschafft, langfristige Konzepte, und zwar auch für Instandsetzung und -haltung, zu implementieren. RF ist dagegen ein weitgehend selbstreferentielles Folkloreprojekt, das es nicht mal gebacken kriegt, ein halbwegs vernünftiges Dach zum Schutz des Mauerwerkes zu errichten.

Suryo , taz.de

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