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wissenslückeDer trickreiche Jörgl

Diener vieler Herren

Tugend, preußische

Prominenter hätten Preußen und seine Tugenden nicht in Erinnerung gerufen werden können. Als sich im Bundesrat am Freitag der Höhepunkt näherte, schloss Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) mit Emphase: „Ich wähle Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre bringt.“ Es wehte ein friderizianischer Hauch durch das preußische Herrenhaus, den Sitz des Bundesrates im föderalen Deutschland.

Schönbohm, Offizier a. D. und Preußenfan, stellte es gerade so dar, als stehe er zur preußischen Tugend des Ungehorsams im schicksalhaften Moment. Und er, der Prinzipientreue, nehme in Kauf, dafür in Ungnade zu fallen.

Unterwürfiger Blick

Schönbohm entlehnte das Ehre-Ungnade-Zitat dem Grabstein des Johann Friedrich Adolph von der Marwitz. Der preußische Obrist hatte den schicken Spruch für sein Grab gewählt, weil er seinem König im Kriege einmal widersprach. Friedrich der Große hatte ihm erlaubt, ein kurfürstlich sächsisches Jagdschloss zu plündern. Doch von der Marwitz weigerte sich, das Geschenk anzunehmen – „weil sich dies allenfalls für Offiziere eines Freibataillons schicken würde, nicht aber für den Kommandeur Eurer Majestät“. Der König war wütend. Von der Marwitz nahm seinen Abschied – und nannte das Ungnade. Von Ungnade, die Schönbohm gewählt hätte oder in die er im Bundesrat gefallen sei, kann indes beim Innenminister keine Rede sein.

Alle finden Schönbohm nun spitze – Edmund Stoiber, Manfred Stolpe, die CDU-Basis bejubelt ihn. Ermöglicht hat dem CDU-Mann das nicht seine Geradlinigkeit, sondern sein kalkulierter Gehorsam. Nicht der gerade Jörg, sondern der trickreiche Jörgl hat den Bundesrat überlistet.

Bei der ersten Frage zum Zuwanderungsgesetz sagte Schönbohm Nein – und gehorchte damit seinem Unions-Herrn Stoiber. Bei der zweiten Frage wandelte er das Nein in „Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident“. Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), sein Dienstherr in Brandenburg, zischte, das sei nun ein Satz zu viel gewesen – eine Entlassungsdrohung. Prompt schwieg Schönbohm bei der unerwarteten dritten Frage zur Zuwanderung. Und blickte unterwürfig zu Boden.

Die Bundesratssitzung mag Theater gewesen sein. Zuallererst könnte sie als eine Lehrstunde über die zeitgenössische Verwertbarkeit preußischer Tugenden dienen. Alles hängt von der Verpackung ab. Auch blanker Opportunismus darf sich in die Pose der verfolgten Unschuld werfen. In Wahrheit hat sich Jörg Schönbohm nämlich als geschickter Verhandler erweisen. Er vermag es, mehreren Herren gleichzeitig nicht zu widersprechen. CHRISTIAN FÜLLER

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