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wir lassen lesenDie wundersame Geschichte des Torwarts Lars Leese

Sperma in der Premier League

Lars Leese, tall as trees That grow in Wombwell Wood, Lars Leese, listen please: We think, you’re very good.

Als der Fußball-Torhüter Lars Leese der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, damals, vor nunmehr fünf Jahren beim FC Barnsley, stellte der Fotograf des Barnsley Cronicle das kleinste Kind, das in der Nähe war, ganz dicht neben den Hünen aus Deutschland, um aller Welt, zumindest allen Menschen im Städtchen, noch einmal bildlich vor Augen zu führen, was für einen Riesentorwart man sich da beim Aufsteiger geangelt hatte. Und als am Tag danach Ian McMillan das Foto in der Zeitung sah, saß der Welt erster und wahrscheinlich auch bester Fußballpoet gerade beim Frisör, wo ihn bei diesem Anblick nichts mehr hielt: McMillan eilte nach Hause und verfasste in Windeseile eine Kurzode an den frisch verpflichteten Torhüter, der schon ob seiner einssiebenundneunzig ein verdammt guter sein musste.

Dass der Nachname des neuen Keepers gar nicht wie „Lies“ ausgesprochen würde und sich deshalb auch nicht auf „trees“ reimt, erfuhr der Reimkünstler erst fünf Monate später. Doch da war es schon zu spät, denn zu diesem Zeitpunkt hatte Leese vor der englischen Ausprache längst schon kapituliert – und nannte sich der Einfachheit halber selbst nur noch Lies, zumindest drüben auf der Insel.

Die Sache mit Lies, dem Kind an seiner Seite, und McMillan, dem Fußballpoeten, ist freilich nur eine Episode in Ronald Rengs Buch „Der Traumhüter“, das die Geschichte des Torhüters Lars Leese nacherzählt. Es ist eine unglaubliche Geschichte, eine fantastische beinahe, weil es in ihr einem Kerl,der mit 16 in der B-Jugend-Elf des 1. FC Köln das Tor hütete, danach dem Fußball abschwor, um mit 20 doch wieder im Kasten zu landen, gelingt, sich binnen sechs Jahren von der Kreisliga A der Region Westerwald-Sieg direkt hineinzukatapultieren in die englische Premier League, eine der stärksten Fußball-Ligen der Welt, aber auch eine der verrücktesten und skurrilsten. Und so ist auch die von Ronald Reng, dem Sportjournalisten aus München, der in den letzten fünf Jahren in London gelebt und während dieser Zeit den Fußball dort nicht nur kennen, sondern ganz offenbar auch lieben gelernt hat (wovon man sich unter anderem in zahlreichen Artikeln zum Thema auch in der taz überzeugen kann), kurzweiligst nacherzählte Geschichte an Verrücktheiten bisweilen nicht zu übertreffen.

Manches, was da zu erfahren ist, mutet liebenswert oder chaotisch oder beides an, anderes hingegen bleibt nur obszön (etwa wenn 18-Jährige Mädchen mit Sperma um den Mund aus der Spielerkabine kommen oder auf der inoffiziellen Weihnachtsfeier die Spieler Sex mit zwei Stripperinnen haben – auf einer Bühne und vor dem Rest der Mannschaft). Dann wird der FC Barnsley zu nichts weiterem als einer besonders ordinären Thekenmannschaft.

Seine stärksten Momente hat das Buch freilich, wenn es einen Blick auf die Innenansichten des Fußballs gewährt. Wenn Reng beispielsweise erzählt, wie Leese, zu jener Zeit noch in Deutschland, bei Bayer Leverkusen zu seinem ersten Profivertrag kommt und darüber mit Bayer-Manager Rainer Calmund im Stadionrestaurant feilscht. Oder wenn Leese in einem seiner selbst erzählten und kursiv gedruckten Einwürfe berichtet, wie er zu seiner kurzen Zeit als dritter Keeper bei Bayer auch Christoph Daum als Trainer erlebt hat („Als die Mannschaft einmal nachts um drei von einem Europapokalspiel nach Hause kam, hat er das Flutlicht eingeschaltet und die Elf zum Auslaufen geschickt“) und ganz nebenbei auch mit dem Gerücht aufräumt, alle in Leverkusen hätten von der Drogensucht des Trainers gewusst (Leese: „Da hatte keiner einen Schimmer“).

In Passagen wie diesen gibt die Geschichte ihren Lesern eine Ahnung davon, was den Fußball in seinem Innersten zusammenhält. Das ist spannend und informativ zugleich, auch wenn der vom Verlag gewählte Vergleich mit Nick Hornbys Fußball-Kultbuch „Fever Pitch“ etwas zu hoch gegriffen scheint. Zumal sich der Erzähler an anderer Stelle bisweilen doch in Klein- und Nichtigkeiten verliert, vor allem wenn private Dinge ausgewälzt werden. Da beschleicht einen dann das Gefühl, dass die Torwart-Lebensgeschichte, so unterhaltsam und meisterlich sie von Reng auch aufgeschrieben wurde, doch kein ganzes Buch trägt und am Ende noch ein paar Seiten gefüllt werden mussten.

Das Lesevergnügen stört das freilich nicht wirklich, ebenso wenig wie der Schluss der Geschichte. Barnsley steigt nämlich nach nur einem Jahr wieder ab und Leese verliert seinen Job als Profi und wird arbeitslos. Heute verkauft er Büroartikel und steht des Abends bei den Amateuren von Borussia Mönchengladbach im Tor. „Es war unser goldenes Jahr, aber die Leute vergessen so schnell.“ In ein paar Jahren wird seine Größe alles sein, was von Lars in Erinnerung bleibt: „Oh, ja, der deutsche Riese“, sagt Ian McMillan, der Dichter, am Ende des Buches. Irgendwie ist das verdammt traurig. FRANK KETTERER

Ronald Reng: „Der Traumhüter – Die unglaubliche Geschichte eines Torwarts“. KiWi 685, 256 Seiten, 8,90 €

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