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wildes weihwasser

Warum erscheinen Außerirdische immer nur in amerikanischen Wüstenstädten oder irischen Einöden und nicht auf dem Times Square oder dem Kurfürstendamm? Dann wäre wenigstens etwas los. In Knock ist die Hölle los, zumindest an hohen Tagen. Vor 123 Jahren hatte sich die Mutter Gottes das kleine Kaff in der westirischen Grafschaft Mayo für eins ihrer raren Gastspiele auf Erden ausgesucht. Maria, ihr Mann Josef sowie Johannes der Täufer, der als Bischof verkleidet war, erschienen vor einem ausgesuchten Publikum von 15 Menschen. Über dem Ensemble schwebten das Christuskreuz, ein Engel und ein Lamm.

Eine kirchliche Untersuchung ergab später, dass die 15 Gläubigen glaubwürdig waren. Mit der den Iren und besonders dem Klerus eigenen Mischung aus Chuzpe und Irrsinn ergriff der ortsansässige Pfaffe zum hundertjährigen Jubiläum die Chance seines Lebens. Monsignore Horan erklärte das verschlafene Nest zum Wallfahrtsort, ließ die größte Kirche Irlands sowie einen internationalen Flughafen bauen, auf dem Jumbos landen können.

Schon am Ortseingang wird klar: Hier befindet sich das Zentrum der Welt, jedenfalls der religiösen. Pilger brauchen Platz. Die schmale, schlaglöchrige Landstraße wird zur sechsspurigen Einflugschneise, eine große Marienstatue grüßt die Reisenden und weist auf die zahlreichen Schnickschnackläden am Straßenrand hin. Hier findet sich alles, was normale Menschen schon immer nicht brauchten: Maria auf Bechern, Haarspangen, Kühlschrankmagneten und Schlüsselanhängern. Aber es gibt auch Nützliches. Die Weihwasserfläschchen in Marien- oder Kreuzform lassen sich als Flachmann nutzen. Unser Weihwasser ist braun, hat zwölf Jahre in einem Eichenfass gelagert und brennt in der Kehle wie der Atem des Teufels. Lobet den Herrn.

In dem öden Ort wirkt die Riesenkirche mit ihrem fluoreszierenden Kreuz wie ein Raumschiff. Der Gottesbunker ist so groß wie die Schalke-Arena, und an manchen Tagen ist die Basilika ausverkauft, so dass die Katholenshow per Lautsprecher auf das Vorfeld übertragen werden muss – zum Beispiel, wenn die polnische Kartoffel zu Besuch kommt. Der Papst zieht immer, zu seiner Messe 1979 pilgerten eine halbe Million Menschen nach Knock.

Leider ist die Basilika derart groß, dass sie außerhalb der Saison nicht genutzt werden kann. Allein die Heizkosten würden die Klingelbeutel überstrapazieren. Deshalb hat man nebenan zwei Kapellen gebaut. In einer findet gerade ein Folk-Gottesdienst statt. Etwa hundert gelangweilte Kniestrumpfträger lauschen einem Gitarre spielenden und singenden Priester. Bruder Elvis knödelt sich eins, während das nasebohrende Jungvolk die schmutzigen Gedanken, die sich in den Gesichtern spiegeln, zu unterdrücken versucht.

Plötzlich beginnen in unserem Auto die Lichter in immer schnellerem Rhythmus zu flackern, die Armaturenbeleuchtung zuckt in blau und rot. Liegt es am Weihwasser? Oder handelt es sich schon wieder um ein Wunder von Knock? Wir werden den Vatikan verständigen müssen.

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