was wir noch zu sagen hätten #14: Mit Blick auf den Grenzübergang
Sandsäcke, Stacheldraht, Schranken – das sehe ich, wenn ich auf dem Weg zur taz am Checkpoint Charlie vorbeifahre. Die Atmosphäre rund um den Kontrollposten löst ein unbehagliches Gefühl aus. Nicht aber wegen dieser Symbole der Grenzgeschichte, sondern wegen des Treibens der Tourist:innen und Schulklassen, die meist schon morgens um den Checkpoint herumstehen: Der Eindruck, dass der Besuch des Mauermuseums bloß ein Punkt auf einer Liste von Sehenswürdigkeiten ist, der abgehakt wird, und der Anblick von Menschen, die sich Militärhüte aufsetzen, durch Souvenirs im Mauershop kramen oder schon zu Bier’s Currywurstschielen – damit kann ich mich nicht anfreunden.
Gleichzeitig bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil es scheint, den Touris sei die ehemalige Spaltung der Hauptstadt präsenter als den Menschen in meinem Umfeld, zumindest meiner Generation, die den Mauerfall nicht selbst miterlebt hat. Mir selbst wurde erst spät klar, dass ich mich nicht einer Kategorie von Wessi oder Ossi zuordne. Vielleicht kann ich mir diese Ignoranz leisten, weil ich in Westdeutschland geboren bin. Das Einzige, was ich lange mit dem Osten verband, war die Tatsache, dass ebendieser in den meisten Statistiken zu sozialer Ungleichheit und Wohlstand schlechter abschneidet, außer wenn es um die Geschlechtergerechtigkeit geht. Jetzt wohne ich in Berlin, bin noch nie im Mauermuseum gewesen und habe keine Probleme, diesen Teil der deutschen Geschichte völlig auszublenden.
Ob es was helfen würde, wenn ich mit all meinen Freund:innen (Ossis und Wessis) öfters mal in Charlie’s Beach Bar mit Blick auf den Grenzübergang tropische Cocktails schlürfen würde? Daran zweifle ich morgens auf dem Rad dennoch. Linda Nunn
Hier schreiben unsere Autor*innen wöchentlich über den Osten. Oder was …
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