warten auf das happyend von und mit SUSANNE FISCHER:
Mein Leben ist ein Film. Zu grell ausgeleuchtet, die Falten sind auch nicht gut überschminkt, aber stets perfekt inszeniert. Verlasse ich morgens das Haus, öffne ich die Autotür, beuge ich mich ins Auto hinein, schlägt mir die Tür ins Kreuz. Toll. Der erste Lacher nach 20 Sekunden. Er könnte noch früher kommen, wenn das morgendliche Mit-Zahnpasta-Bekleckern nicht dem Schnitt zum Opfer gefallen wäre. Apropos fallen. Da wäre ja schon die erste Rückblende fällig. Hinfallen, umfallen und auffallen kann ich besser als jeder Schauspieler, und das seit Jahren.
Auto, innen. Ich pöble. Ich beginne einen langen Monolog über die Schande des Zuspätkommens und die Widrigkeiten der Welt. Gegenschnitt auf den Dreijährigen auf der Rückbank: „Ach, Mama, ach, Mama ...“, seufzt er im Tonfall eines Trauerredners. Inzwischen überfahre ich ein Eichhörnchen und hoffe, dass das niemand gesehen hat. Aber die Kamera ist unbestechlich.
Supermarkt, innen. Einsatz bestausgebildeter Komparsinnen. Ich hetze unwürdig mit der Brötchentüte durch die Gänge, biege in die Zielgerade ein, als eine hochondulierte Hausfrau in perfektem Timing ihren Einkaufswagen querstellt. Im Soundtrack hört man das Quietschen meiner bremsenden Schuhe. Die Hausfrau lächelt mokant. Sie wollte es der berufstätigen Mutter schon lange mal zeigen, und jetzt hat sie die Gelegenheit dazu. Der Regisseur grinst und nickt, winkt ihr auffordernd zu. In aller Seelenruhe lässt sie ihre vierunddreißig Artikel auf das Band tröpfeln und sich von der Kassiererin die Familienverhältnisse der Nachbarschaft erläutern, und zwar zurück bis ins Jahr 1950. Mein Sohn und ich sind inzwischen für die beiden unsichtbar geworden, was der Zuschauer daran erkennen kann, dass ein Digimon-Sammelbild-Regal wie von allein umfällt. Unschuldig sehen wir uns um, aber plötzlich hat uns die Kassiererin wieder fest im Blick und wir müssen alles aufsammeln. Die ondulierte Person rollt mir noch rasch ihren Wagen über die Füße, ehe sie sich heuchlerisch entschuldigt.
Schnitt. Wir sehen einen schmuddeligen Hasen, der zu Hause auf der Fensterbank sitzt. Schnitt. Wir sehen ein brüllendes Kind im Auto. Schnitt. Wir ahnen den Zusammenhang und sind gespannt auf die Problemlösung. Schnitt. Wir sehen eine zähnefletschende Mutter ein schreiendes, hasenloses Kind zum Kindergarten ziehen. Als Soundtrack hören wir Häschenwitze. Schnitt. Wir verlieren den Glauben an das Gute in der Welt und wissen nicht mehr, wo wir das Happyend herkriegen sollen.
Großaufnahme: Kindergärtnerin, lieb. Großaufnahme: Kind, erleichtert. Großaufnahme: Mutter. Macht irgendwie einen destruierten Eindruck (für den Zuschauer erkennbar an einer kleinen schwarzen Wolke über ihrem Kopf) und schlängelt sich rasch fort in ihr Büro, wo sich ausgeschlafene, entspannte Kollegen besorgt nach ihrem Befinden erkundigen. Ich lächle und sage, es war wieder so ein Morgen. Einer von diesen wie im Film. Sie lächeln auch. Und während sie keine Ahnung haben, beginnt es genau über mir zu regnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen