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Archiv-Artikel

warenkunde Die Küche wächst

Sind Muskatnussmühlen und andere moderne Haushaltsgeräte ein Spiegel bewussten Konsums – oder bloß Eventschnickschnack?

Eine Fotoserie von Anna und Bernhard Blume trägt den schönen Titel „Küchenkoller“. Zu sehen ist, wie eine Frau in Blümchenkleid in heftige Turbulenzen kommt, weil sich zuerst die Kartoffeln, dann die Töpfe und Pfannen selbständig machen. Beim Versuch, alles doch noch im Griff zu behalten, stürzt die Frau – und alles fällt über ihr zusammen. Auf etwas andere Art kann ebenso einen Küchenkoller erleben, wer ein Haushaltswarengeschäft betritt. Auch hier gibt es allerlei eigenwillige Dinge, die sich ziemlich wichtig machen und leicht aufdringlich werden: Zitronenpressen, die mindestens einen halben Meter hoch sind, Apfelschäler, die das Ausmaß einer Werkbank besitzen, oder eine Muskatmühle, die hundertmal so groß ist wie die Nuss, die sie reiben soll.

Doch es erstaunt nicht nur, welchen Platz viele Apparaturen beanspruchen; sondern vor allem, wie differenziert sie auf jeweils nur eine Funktion ausgerichtet sind. Immerhin taugte für die Muskatnuss genauso eine Reibe, mit der sich auch noch allerlei anderes bearbeiten lässt. Doch scheint es im Küchenbereich seit einiger Zeit Trumpf zu sein, für jede Tätigkeit ein eigenes Gerät zu haben. (Mühelos könnte man selbst eine 50 Quadratmeter große Küche mit all den Instrumenten füllen, die nur zum Spargelschälen, Bratenlüften, Nudelschneiden oder Rettichhobeln dienen.) Diese Spezifizierung verrät den Wunsch, Küchenarbeit möglichst stark zu ritualisieren. Wer sein Grillfleisch nicht mit demselben Pinsel einstreicht wie seine Butterplätzchen, weil er für beides über eigenes Zubehör verfügt, kann die Tätigkeiten eher als bewussten Akt erleben. Es geht dann nicht um maximale Praktikabilität, sondern darum, etwas Alltägliches zu überhöhen und zu zelebrieren, es durch eine eigene Gerätschaft unverwechselbar, gar einzigartig werden zu lassen.

Man kann darin ein Zeichen von Eventkultur sehen, aber auch noch weiter gehen und die Küche als einen Ort identifizieren, an dem viel gutes Gewissen entstehen soll: Wer das Kochen und Backen ritualisiert und dank zahlreicher Hilfsmittel eigens gestaltet, will sich als besonders akkurat erleben. Gerade sofern man jedoch nicht nur für sich, sondern ebenso für einen Partner oder die gesamte Familie tätig wird, lässt sich jeder mit Profizubehör ausgeübte Handgriff auch als Akt der Fürsorge interpretieren: Kümmert man sich nicht vornehmlich um das Wohl der anderen, wenn man mit so viel Hingabe Speisen zubereitet?

Je intensiver jemand seine Küchenarbeit erfährt, desto mehr Zuwendung zu anderen Menschen darf er oder sie sich also unterstellen. Aus der Liebe zum Detail, die all die ausdifferenzierten Küchengeräte verkörpern, lässt sich direkt auf die Liebe zu denen schließen, die man bekocht. Und so darf sich rundum als gerecht und sozial vorbildlich fühlen, wer seine Küchenregale voll mit diversem Zubehör hat.

Umgekehrt bekommt natürlich leicht ein schlechtes Gewissen, wer im Haushaltswarengeschäft all das sieht, was der eigenen Küche fehlt. Eventuell entsteht bei ihm oder ihr dann sogar die Befürchtung, schlampig und lieblos zu sein. Versagensängste werden wach – schon ist man mitten im Küchenkoller. Aber man ist es auch, wenn man das Spiel durchschaut und sich ausdrücklich gegen die Ritualisierung der Küchentätigkeiten entscheidet. Zwar kann man ohne weiteres auf Kochlöffelständer und Flavour Shaker, aber weniger leicht auf einen Toaster verzichten. Dann jedoch kommt man kaum umhin, sich auf ein ambitioniertes Gerät einzulassen.

Auch hier ist vieles im Format überdimensioniert, ferner mit Hebeln und Zangen oder gar mit digitalen Programmen ausgestattet. Erst recht wirkt das Design darauf hin, das Toasten als einen zentralen, mit höchster Symbolik versehenen Vorgang erscheinen zu lassen. Wer sich für das Modell von Siemens im Porsche-Design entscheidet, darf – oder muss – den Frühstückstoast fortan als dynamisches Energiepaket essen, erhitzt von professioneller Premiumpower. Wer hingegen ein Gerät von Russell Hobbs erwirbt, dem eine grünlich matte Glasscheibe vorgeblendet ist, wird den Eindruck haben, das Brot werde beim Toasten zugleich gereinigt und könne als Portion Unschuld zu sich genommen werden.

Wiederum dient ein Apparat also dazu, den Konsumenten gutes Gewissen zu bereiten, diesmal weniger, weil sie so viel Nächstenliebe, sondern weil sie Selbstsorge bewiesen und darauf geachtet haben, nicht nur irgendetwas zu verspeisen. So schmeicheln die Dinge dem, der sie kauft – und drohen all denen, die auf sie verzichten wollen. Vielen stellen sich Gewissensfragen heutzutage somit weniger in Beichtstühlen als in Haushaltswarengeschäften, und der kaum vermeidbare Küchenkoller ist nur ein weiterer Beleg dafür, wie sehr das Konsumieren auch die Seele affiziert.

WOLFGANG ULLRICH