wählerverhalten: Jeder kommentiert die Inszenierung
Es ist ein eigenartiges Phänomen: Viele Bürger entwickeln sich zu Experten für die Inszenierung von Politik. Heutzutage geht das Wahl-Gespräch zwischen Nachbarn so: Na, der Schröder wird durch seinen Auftritt bei der Flutkatastrophe sicher Punkte machen, so was nutzt doch immer der amtierenden Regierung. Oder so: Das Hartz-Konzept kommt einfach zu spät, das kaufen die Wähler dem Schröder nicht mehr ab.
Kommentarvon BARBARA DRIBBUSCH
Auch am Sonntag, wenn das „TV-Duell“ zwischen Schröder und Stoiber über den Bildschirm flimmert, werden die Zuschauer in sachkundigem Ton im Wohnzimmer darüber plaudern, welcher Kandidat denn nun am überzeugendsten auf „die Wähler“ gewirkt habe. Die Qualität politischer Programme oder die Seriosität der Personen spielen keine Rolle mehr, sondern werden einfach übersprungen. Im Halbdunkel eines Polit-Kinos geht es gleich um die Wählerwirkung: Jeder beobachtet aus sicherem Abstand, wie die Spitzenkandidaten auf der Leinwand um die Gunst der Millionen Wankelmütigen buhlen. Und das sind immer die anderen, weil man selbst fachkundig jede politische Inszenierung durchschaut.
Diese genüssliche Betrachtung von Politik zu Wahlkampfzeiten oblag bislang vor allem hauptberuflichen Kommentatoren. Doch inzwischen haben sich alle Bürger fortgebildet. Und es befriedigt auch ein paar Rachegefühle, die Spitzenkandidaten jetzt im Fernsehstress um die Wählergunst zu wähnen. Schließlich haben Kanzler & Co. oft nicht die gewünschte Dienstleistung erbracht und kommen trotzdem täglich in die Medien, während der Normalbürger bestenfalls dann in den Nachrichten erscheint, wenn er bei einer Flutkatastrophe Sandsäcke stapelt.
Wenn Wähler vor allem über Wählerwirkung spekulieren, könnte das zwar einen Autonomiegewinn der Bürger anzeigen, Motto: Alles wird durchschaut. Aber so einfach ist es nicht. Denn in dieser distanzierten Betrachtung liegt auch eine Entfremdung der Wähler von der Politik – und von sich selbst. Schließlich ist der Akt des Wählens für die meisten die einzige politische Handlungsoption. Deshalb sprechen die Wähler doch immer auch von sich selbst, wenn sie über die anderen reden.
Darum könnten sie genauso gut konkret werden und darüber diskutieren, wen sie selbst wählen wollen und aus welchem Grund. Ganz unentfremdet – denn schließlich enden doch alle allein in den Wahlkabinen, wenn das Polit-Kino vorbei ist.
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