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Archiv-Artikel

vorlauf Dahin gehen, wo es wehtut

„Mein Terrorist“ (20.40 Uhr, Arte)

„Als ich Fahad Mihyi im August 1978 zum ersten Mal erblickte, war er mir sofort verdächtig. Ich war Teil einer israelischen El-Al-Crew, und wir waren gerade in London gelandet. Wenige Minuten später richtete Fahad Mihyi ein Maschinengewehr auf uns und eröffnete das Feuer.“ Mit diesen Worten zu Archivbildern beginnt Yulie Gerstels Dokumentation „Mein Terrorist“. Der Film schildert ihren Versuch, eine terroristische Tat zu verstehen, bei der sie verletzt und eine Kollegin erschossen wurde. Und „verstehen wollen“, das ist die eigentliche Grundmelodie dieses Arte-Themenabends – den die Doku „Dschenin, Dschenin“ direkt im Anschluss mit einer streng palästinensischen Sichtweise abrundet.

Als Gerstel im Jahr 2000 mit ihrer Selbstdokumentation begann, lebte sie als Mutter zweier Töchter in Tel Aviv. Da hatte der Attentäter, den sie im Prozess schwer belastete, bereits 22 Jahre im britischen Hochsicherheitsgefängnis Dartmoor auf dem Buckel. Es entspinnt sich zunächst ein Briefwechsel zwischen der Hausfrau und dem Terroristen, später fliegt Gerstel nach England, um Mihyi in die Augen zu schauen – und unterstützt später sogar sein Gnadengesuch. Dafür wird sie als „Faschistin“ beschimpft, auf offener Straße, in einer Talkshow, im Freundeskreis. Und es gibt nichts, was sie entgegenhalten könnte – außer ihrem Willen, dem Kreislauf des Hasses, endlich, endlich, endlich auszuhalten. Der Film kommt ohne große Gesten aus und bietet einen seltenen Einblick in die israelische Psyche – wir fahren durch ein Wohngebiet, und „dort wohnte Mosche Dajan, dort Schimon Peres, da hinten Ariel Scharon“. Fast beiläufig schildert Gerstel, früher Offizierin in der israelischen Armee, den palästinensischen Terror als Folge israelischer Politik. Dabei spart sie weder ihr Scheitern aus (Welten liegen zwischen ihr und der Mutter der getöteten Kollegin), noch unterdrückt sie ihre Selbstzweifel (nachdem der 11. September ihren Film zu einem subversiven Akt gemacht hat). „Warum mache ich das überhaupt?“, fragt sie sich am Ende. Und beantwortet die Frage mit einem sehr langen, sehr ruhigen Schwenk über ihre schlafenden Töchter. ARNO FRANK