vorlauf: Beton für den Sieg
Der Atlantikwall (20.45 Uhr, Arte)
Manchmal hatte der Führer die Hosen voll: „Ich kann keine Nacht ruhig schlafen, wenn ich daran denke, dass die Amerikaner und Engländer kommen, bevor ich den Krieg in Russland und Afrika siegreich beendet habe.“ Aus Angst vor einem Zwei-Fronten-Krieg befahl Adolf Hitler 1940 den Bau einer Kette von 15.000 Abwehrbunkern entlang der besetzten westeuropäischen Küsten – von Norwegen bis an die Pyrenäen. Sie sollte eine Landung der Alliierten unmöglich machen.
Von der Propaganda wurde der Atlantikwall zum Garanten für den Endsieg bejubelt. Der belgische Journalist Johan Op de Beeck hat auf ideologischen Ballast verzichtet und erzählt sachlich und dennoch anekdotenreich mit vielen Zeitzeugen die Geschichte der Bunkerkette. Da ist Jakob Schinkel, der als Bauarbeiter jeden Tag zwei Hosentaschen voller Nägel klaute, um die Arbeiten zu verzögern. Oder Stefaan Devacht, der heimlich Pläne von den Bunkern zeichnete und sie nach London schickte. Der deutsche Chefingenieur Werner Flos wird von Op de Beeck als unverbesserlicher Geschichtsverklärer entlarvt. Er schwärmt unverblümt über den Leiter des Bauprojekts, Fritz Todt: „Dr. Todt war für mich ein hervorragender Ingenieur, kolossal freundlich, liebenswürdig, integer, kameradschaftlich.“
Den Überlebenden räumt Op de Beeck viel Zeit ein. Ihre Erinnerungen, zum Teil an Originalschauplätzen erzählt, machen seine Geschichte lebendig. Dafür verzichtet der Autor konsequent auf teure Farbaufnahmen vom Führer auf dem Obersalzberg – wie sie Guido Knopp so gerne zeigt, wenn es ums Dritte Reich geht. Op de Beecks Geschichte ist schwarz-weiß. Archivbilder erzählen vom Bau und den Alltag in den Bunkern, wie die Soldaten beim Kartenspiel auf den Angriff warten und schließlich einen qualvollen und ausichtslosen Abwehrkampf führen müssen. Der Sohn Erwin Rommels muss resümieren: „Sich ein Szenario auszumalen, das die Deutschen hätte gewinnen lassen, ist eigentlich unrealistisch.“ Immerhin dokumentiert der Film eine der größten Chimären des Naziregimes – bis zum D-Day am 6. Juni 1944. Da machte sich der Führer dann wirklich in die Hose.
RALF GEISSLER
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