vorlauf: Rattenscharf
„Ratten – Sie werden dich kriegen!“
(20.15 Uhr, Pro7)
Typischer Fall von Unterschätzung, oder, wie Baby Bush jüngst sagte: they misunderestimated it. Trotz des widerwärtig reißerischen Pro7-Untertitels ist „Ratten“ nämlich ein erstaunlich spannender, erstaunlich schaurig-schöner Thriller. Vermutlich hat man ihn aus gutem Grund nicht vor der Buchmesse ausgestrahlt: So heruntergekommen und verwahrlost wurde Frankfurt/Main noch in keinem deutschen Film dargestellt.
Es ist der heißeste Sommer seit 150 Jahren in Jörg Lühdorffs Krimi, die Müllabfuhr streikt, und eine Rattenplage mit integrierterm Virusübertragungsalarm legt Frankfurt lahm. Hochdramatisch inszeniert, wunderbar gespielt vom legitimen Action-Mann Ralph Herforth als „unkonventioneller Katastrophenschützer“ und vom Kollegen Ex-Soldaten, dem aus einem „Lindenstraßen-Benni“-Nachttischchen zur Muskelschrankwand herangewachsenen Christian Kahrmann, über dessen Sätze wie „Ist ja wie in Bosnien“ oder „Ich bin wohl der einzige mit Kampferfahrung“ man noch minutenlang kichern muss. Am allerschönsten in Figur und Darstellung wird allerdings die bärbeißige, abgehalfterte, hartherzige Bürgermeisterin der Stadt von Hildegard Semmler-Heiduk portraitiert, die lieber Martini als Wasser trinkt, um ihren Feuchtigkeitshaushalt auszugleichen, und so lange eine nach der anderen qualmt, bis die Ratten auch sie erledigt haben.
Die Produktion mit den vielen echten und den Tausenden am Computer generierten Viechern, die sich – im Gegensatz zu ihrem eigentlichen Wesen – aggressiv durch die Geschichte, sämtliche Hochspannungsanlagen bis in die Betten unbescholtener Bürgerkinder nagen, war bestimmt richtig schön ekelig. Schließlich teilt man sich nicht jeden Tag schwesterlich ein Stückchen Käse Mund-zu-Schnauze mit einer Ratte.
Die vernachlässigungswürdige Liebes-Sidestory mit der Ärztin (Anne Cathrin Buhtz), die das Anti-Serum gegen den bösen Virus finden muss, stört auch nicht weiter. Und feinfühligere Sender als Pro7 hätten den Film wegen Milzbrandpanik eh aus dem Programm gekickt. Aber Pro 7 war noch nie für besondere Feinfühligkeit bekannt – ein Glück. JENNI ZYLKA
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