vor ort : HENK RAIJER über kollektive Schulschwänzer und ihre politischen Freunde in Neuss
Ein Schülerstreik bewegt in dieser Woche die Gemüter in Neuss. Seit Montag bleiben über hundert Kinder dem Unterricht an der Barbaraschule fern, ihre Eltern haben sie offiziell krank gemeldet. Schulpflegschaft und Eltern sind verärgert darüber, dass die Schule laut Ratsbeschluss vom 17. Februar zum Schuljahresbeginn 2007/08 keine neue Eingangsklasse mehr aufnehmen darf und zum Schuljahresende 2009/10 endgültig aufgelöst werden soll. Der Beschluss, der im Rat mit den Stimmen der CDU-Mehrheit gefasst worden war, traf auch die Schulleitung völlig unvorbereitet. Denn der Stadtrat hatte nur wenige Monate zuvor entschieden, die Barbaraschule ab übernächstem Schuljahr als Ganztagsschule weiterzuführen. Nun soll die Grundschule, die in Sachen Integration von Migrantenkindern als Vorbild gilt, im Zuge der Zusammenlegung der Neusser Innenstadtschulen geopfert werden.
Die Fraktionen von SPD und Grünen im Stadtrat unterstützen den Protest von Eltern, Schulpflegschaft und Rektorat. Während die SPD ihrer schulpolitischen Sprecherin Gisela Hohlmann zu Folge „kein begründetes Interesse“ an der Schließung der Schule erkenne, bezeichnen die Grünen den Beschluss zur Schließung als „unüberlegt, kurzsichtig und im Grundsatz falsch“. Der schulpolitische Sprecher der Neusser Grünen, Dieter Zander, fürchtet negative Auswirkungen für das Barbaraviertel insgesamt. „Hier haben wir ein gelungenes Beispiel für erfolgreiche Integration. Andere Schulen und Stadtteile mit hohem Ausländeranteil beneiden uns um diese Schule“, erklärte Zander gestern in einer Stellungnahme. „Beim Auseinanderbrechen des sozialen Miteinanders durch das Verteilen der Schüler auf andere Schulen wird sich das Barbaraviertel verändern.“ Die Grünen werden nun in der Ratssitzung am 12. Mai einen Antrag auf Rücknahme des Beschlusses stellen. Dieter Zander hofft darüber hinaus, dass die Bezirksregierung zu einer anderen Entscheidung kommen wird als der Neusser Stadtrat.
Nach Einschätzung des Fraktionsvorsitzenden der Grünen haben Verwaltung und CDU-Fraktion mit dem Ratsbeschluss einen folgenschweren Fehler begangen. „Selbst bei einem Rückgang der Schülerzahlen kann auch nach derzeitigem Schulgesetz die Schule erhalten bleiben“, meint Michael Klinkicht. Seiner Einschätzung nach ist der Antrag auf Rücknahme des Ratsbeschlusses unproblematisch umzusetzen, weil die Bezirksregierung „den Ratsbeschluss so lange nicht genehmigen kann, bis der Schulentwicklungsplan vom Rat verabschiedet wurde“. Und das solle nach derzeitigem Kenntnisstand erst in der Ratssitzung vom Juni 2006 geschehen.
Bei der SPD argumentiert man ähnlich: Offenbar versuche die Ratsmehrheit „durch eine falsche Folge der Beratungen, unumkehrbare Fakten zu schaffen: erst die Barbaraschule schließen, dann über den Schulentwicklungsplan abstimmen“, beschwert sich Gisela Hohlmann. Deshalb gebe es bisher auch noch gar keine Idee, wo die Kinder hinkommen sollen, wenn die Schule schließt. Hohlmann: „Darüber muss man ja krank werden.“