vor ort : MIRIAM BUNJES über streikende Flüchtlinge vor dem Lüner Rathaus
Nachts breiten sie ihre Decke auf den Treppenstufen vor dem Lüner Rathaus aus, die sie auch tagsüber nicht verlassen. Eigentlich wollen Cherag Ansari, Khanpourd Said, Davoud Razavi und Amir Tajrishi nicht auf diesem Marktplatz wohnen. Sie wollen aber erst Recht nicht in das Vierbettzimmer im Übergangswohnheim Lünen-Alstedde, in das sie die Lüner Ausländerbehörde einquartiert hat – zwangsweise. Deshalb sitzen die vier Flüchtlinge aus dem Iran seit Dienstagabend mit selbstgemalten Pappschildern vor dem Rathaus und protestieren gegen die „unmenschlichen Bedingungen“ in den Wohnheimen und gegen die Behandlung im Ausländeramt, das sie ein „Anti-Ausländeramt“ nennen. Sie wollen bleiben, bis die Situation sich ändert und drohen auch mit Hungerstreik.
Seit acht Jahren leben die Iraner in der Stadt am nördlichen Rand des Ruhrgebiets – zu viert in einer Dreizimmerwohnung einer ehemaligen Obdachlosenunterkunft. Aus der holte die Polizei am Montag ihre Sachen ab und brachte sie in ihr neues Zuhause: Einen 24 Quadratmeter großen Raum in dem Übergangswohnheim, in dem künftig alle alleinstehenden Flüchtlinge in Lünen leben sollen.
Die Bezeichnung „Übergangswohnheim“ trügt allerdings. Die meisten Bewohner leben schon seit zehn Jahren dort. „Die wohnen auch zu viert in einem Zimmer“, sagt Stadtsprecher Reinhold Urner. „Lünen hat eben einen Nothaushalt.“
Um zu sparen, schließt die Stadt ein Asylbewerberheim und verteilt alle rund 600 Lüner Flüchtlinge neu. Familien kommen in die Wohnheime mit Wohnungen, Singles in die mit Einzelzimmern. „Es ist ja richtig, die Familien zusammenzuführen“, sagt Volker Jeck vom Lüner Arbeitskreis Flüchtlinge. Der Pfarrer hält die Lebensbedingungen in den Single-Wohnheimen jedoch für unzumutbar. „Vierbettzimmer sind für ein paar Wochen gedacht. Hier sind sie Dauerlösung.“ Zudem müssten die Menschen ihre Anwesenheit beim Hausmeister abstempeln lassen, sogar die Uhrzeiten für die Kontrollen seien geregelt. „Das ist an der Grenze zur Menschenrechtsverletzung.“
Ein Runder Tisch aus Migrationsrat, Flüchtlingskreis und Stadt wurde vergangene Woche erfolglos aufgelöst. „Die Stadt stellt sich stur“, sagt Jeck, der das Klima zwischen Stadt und Flüchtlingen als „immer problematischer“ beschreibt. Ermessenspielräume würden grundsätzlich zuungunsten der Flüchtlinge ausgelegt. „Es gibt nichts zu diskutieren“, sagt Stadtsprecher Urner. „Wir halten uns nur an die Gesetze.“
Auch Jeck sieht die Stadt auf der rechtlich sicheren Seite. „Humanere Lösungen kann man sich aber auch ohne viel Fantasie vorstellen“, sagt der Pfarrer. Zum Beispiel könnte man die Einsparungen durch die Wohnheimsschließung in den Ausbau der Single-Wohnheime investieren. Eine Option, die sich laut Stadt bald erübrigen wird. „Wir werden die Ausreiseverfahren schnellstmöglich bearbeiten“, sagt der Stadtsprecher. Das habe natürlich auch Einfluss auf die Wohnsituation. 453 der 600 Lüner Flüchtlinge sind nur geduldet.