piwik no script img

Archiv-Artikel

vor ort SUSANNE GANNOTT über die Kölner Polizei in der ungewohnten Rolle als Angeklagte

In dem Prozess steht viel auf dem Spiel. Für die Klägerinnen geht es um nicht weniger als um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Für den Beklagten, das Kölner Polizeipräsidium, wäre ein Sieg der Gegenseite ziemlich peinlich: Denn das hieße, die Polizei handelte am 9. August 2003 nicht nach Recht und Gesetz.

An jenem Tag ging es heiß her auf den Poller Wiesen am Rhein. Dort tagte damals das sechste „Antirassistische Grenzcamp“: ein jährliches Zeltlager der deutschen Linken, das sich kritisch mit der deutschen Migrationspolitik auseinander setzt. Und für den 9. August, einen Samstag, hatte die rechtsextreme „Pro Köln“ eine Demo gegen das Camp angemeldet. Die Polizei musste also zusehen, dass sich Rechte und Linke nicht in die Haare bekamen. Wie sie das tat, ob sie dabei die Rechte der Grenzcamper verletzte oder ob ihre Aktionen womöglich sogar nur ein Vorwand waren, um die Personalien möglichst vieler Linker zu bekommen, wie die drei Klägerinnen meinen, war Thema am ersten Verhandlungstag Mitte November vor dem Kölner Verwaltungsgericht.

Der erste Streitpunkt waren die „Kontrollstellen“, die die Polizei an jenem Morgen rund um das Camp einrichtete. Die musste jeder passieren, um das Lager zu verlassen. Man habe die rechte Demo vor linken Übergriffen schützen müssen, erklärte Thomas Sanders, Leiter der Bereitschaftspolizei, dem Gericht. „Das ist vorgeschoben“, erwiderte Eberhard Reinecke, Anwalt der Klägerinnen. Das habe mit der Absperrung gar nicht erreicht werden können: „Jeder andere in Köln konnte zur Gegendemo.“ Die Kontrollstellen hätten also gezielt die Demonstrationsfreiheit der Grenzcamper verletzt.

Einen Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit nannte Reinecke auch die Auflösung des Grenzcamps, die der Einsatzleiter der Polizei um 18.18 Uhr über Megaphon verkündete. 377 Grenzcamper, die sich weigerten, ihre Personalien abzugeben, wurden eingekesselt, zur Gefangenensammelstelle nach Brühl gebracht und dort „ID behandelt“, sprich: fotografiert und ihre Daten erfasst. Sanders begründete das vor Gericht damit, dass „70 Prozent Straftäter“ unter den Grenzcampern gewesen seien. Die Polizei sei immer wieder mit Steinen und Farbbeuteln angegriffen worden. Daran konnte sich Gerda Heck, Anmelderin des Camps und eine der Klägerinnen, allerdings nicht erinnern. Über den wahren „Tathergang“ und damit über die Rechtmäßigkeit der Auflösung des Camps und der massenhaften Ingewahrsamnahme sollen nun Polizeivideos Aufschluss geben.

In zwei Punkten legte der Vorsitzende Richter Frank Oehmke der Polizei allerdings ein Schuldeingeständnis nahe: Sowohl die Fesselung einer der Klägerinnen als auch die komplette Abriegelung des Camps, das ab Nachmittag auch von außen niemand mehr betreten durfte, seien rechtswidrig gewesen. „Da beißt die Maus keinen Faden ab“, befand Oehmke. Polizeivertreterin Brigitte Euler zeigte sich einsichtig, beides wurde damit als „in der Hauptsache erledigt“ zu Protokoll gegeben. Über den Rest wird heute weiter verhandelt.