von disco zu disco: Auf der Vernissage ist der DJ eine Art Direktor
Brasileske Kunstpause
Keine Kunstsause mehr ohne DJ-Präsenz. Ob Fabrikhallen-Avantgarde oder etablierter Kunstbetrieb: Fast immer gibt es im Anschluss von Ausstellungeröffungen noch eine Party. Der DJ ist dort folglich ein Art Director und hat es mit einer komplexen sozialen Gruppe zu tun, die im Laufe des Abends erheblich mutieren und schließlich aus allen Fugen geraten wird, wahrscheinlich.
Je nach angestrebtem Provokationsanspruch oder angenommener Belastbarkeit des Publikums lautet die Musikfarbe „ambientös“ (ein Wort wie eine Krankheitsdiagnose: „Ich muss Ihnen leider mitteilen: Die Geschwulst ist ambientös.“), „brasilesk“ (das schönere Wort: Es fügt der tropikalen Grundnote einen Oberton kühler Eleganz hinzu, bei der man nicht allzu sehr ins Schwitzen kommt.), im Zweifelsfall aber immer „discoid“.
Diese Art Partys erfordern einen wandlungsfähigen, nervenstarken DJ, der die wechselnden Nuancen der demografischen Verhältnisse und den aktuellen Pegelstand auf dem Alkoholbarometer richtig zu deuten und darauf zu reagieren weiß. Denn wir wollen nicht vergessen: Dies sind Feten, auf denen niemand Eintritt bezahlt hat, jeder sich für musisch kompetent hält und Bier und Weißwein kostenlos sind. Gute Voraussetzungen, um mal loszulassen. Doch zunächst sind noch die Greise und die Kinder mit an Bord: etwa Ehrenvorsitzende von Fördervereinen mit ihren Enkeln. Die Laustärke ist extrem gedrosselt, sanft grooven Soul und Bossa und verschrecken niemanden. Die Kleinsten drehen sich sowieso zu jeder Musik entrückt und selbstvergessen im Kreis, ein paar zehnjährige Jungs mit umgedrehten Baseballkappen schauen dem DJ skeptisch auf die Finger, weil für sie niemand ein DJ ist, solange er nicht scratcht.
Weil die Kinder die einzigen sind, die die Musik zu diesem frühen Zeitpunkt überhaupt wahrnehmen, scratche ich ein bisschen für sie. Aufgeregt strahlend erzählen sie es ihrem Vater. Der prostet mir gutmütig mit seinem Weißwein zu. Ich beschließe einen Zahn zuzulegen, mich aus den seichten Gefilden der Background-Beschallung etwas mehr in den Vordergrund zu spielen. Sonst wird mir das zu langweilig. Aber schon pfeift mich die Frau des Museumsdirektors zurück: „Können Sie bitte die Lautstärke drosseln? Man kann sich ja gar nicht mehr unterhalten!“ Erst auf ihr Stichwort hin darf ich lauter werden.
Relativ öde zwei Stunden gebremsten Spaßes vergehen, aber dann kickt doch heftig der Weißwein ein. Eine Frau im kleinen Schwarzen, im Schlepptau einen willenlosen Kerl mit grauen Schläfen und bereits gelockerter Krawatte, kommt zum Pult und trifft sofort diesen unwiderstehlichen Ton, den ich besonders bei Damen so sehr schätze: „Kannst du vielleicht mal endlich aufdrehen und was Vernünftiges spielen? Wir wollen hier schließlich tanzen!“ „Ach, halt doch die Klappe“, denke ich, nicke asiatisch kühl und drehe den nächsten Track, irgendwas von Imagination, auf Animationsvolumen. Sofort füllt sich die Tanzfläche, weswegen sich die Blöde im gesamten Lauf des Abends für die Schutzpatronin des Dancefloors halten wird – im Wahn, einen DJ persönlich auf die Idee gebacht zu haben, zur Abwechslung doch mal Tanzmusik zu spielen.
Doch da kommt die echte Patronin: „Ich hatte Ihnen doch gesagt: Lauter erst auf mein Zeichen!“ Nach meinem Nicken auf die nun bereits äußerst muntere Tanzfläche und einem Verweis auf die Blöde im kleinen Schwarzen gibt sie schmollend nach: „Sie müssen ja wissen, was Sie tun.“ Alles schiebt und drängt jetzt zur Tanzfläche: Sammler und ihre Gattinnen, deren höhere Töchter und ihre öligen Beaus, das komplette Museumssekretariat und auch der stellvertretende Bürgermeister schwofen jetzt mehr oder weniger gekonnt zu einem Programm, dass zwar cool und korrekt, aber auch von gnadenloser Bekanntheit jedes einzelnen Tracks geprägt ist.
Mittlerweile hat sich bei mir im Pult – das übrigens direkt neben dem Würstchenstand aufgebaut ist – eine malerische Crew clubbender Künstler und künstlerischer Clubber-Kumpels in Camo-Wear niedergelassen. Für sie als wirklich ernsthafte Ausgeher ist es noch viel zu früh zum Tanzen. Zunächst gilt es, traditionelle rebellische Rituale zu absolvieren: Museumskiffen und Männerknutschen in der Gegenwart bürgerlicher Honorationen und Kriegsveteranen.
So wird es langsam wirklich locker und amüsant. Die Senioren und die Kinder verabschieden sich zügig, die übrigen Leute sind jetzt richtig offen oder vielleicht auch nur richtig besoffen. Disco-Classics werden zu House Music, House wird zu Techno, Techno wird zu abartigem 80er-Jahre-Revival-Electro, und schon sind wir wieder zurück bei Disco, dann Soul, bis sich nach einem letzten romantischen Lovers-Rock-Track auch noch das letzte Pärchen glücklich mit Schlagseite von der Tanzfläche verfügt. Ein Blick auf die Uhr: noch nicht mal zwei.
„Das haben Sie wirklich ganz herrlich gemacht!“ Strahlend kommt die Patronin zu mir zurück, auch sie war zwischenzeitlich dem Charme von Golden Boy und Miss Kittin erlegen. Doch bevor ich vor Zufriedenheit zerfließen darf, hat sie noch ein Ass im Ärmel: „Also das war so was von prima. Sie werden Ihre Gage in spätestens drei Wochen auf dem Konto haben, das verspreche ich!“
HANS NIESWANDT
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