vollgeschmiert: „Klimaterroristen“ ist Unwort des Jahres. Dabei trifft es doch einfach nur zu
Seit Montagmorgen ist die A7 zwischen Northeim-Nord und Lutterberg über 60 Kilometer gesperrt. Die Ursache ist Paraffin, eine wachsartige Substanz, die mutmaßlich durch einen Transporter auf die Fahrbahn gelangte. Dutzende Spezialfahrzeuge waren über Stunden im Einsatz. Das Ergebnis: Das Zeug geht nicht weg.
Moment mal. Ein unbekanntes Fahrzeug verliert Paraffin auf der Autobahn, aus Versehen? Das klingt doch vielmehr nach dem Zenit des sogenannten Klimaterrors, nach der großflächigen Übertreibung des Sekundenklebers!
Klimaterroristen, das sind gewiss die Verantwortlichen für die wachsüberzogene Fahrbahn. Gerade frisch zum Unwort des Jahres 2022 gekürt, zeigen sie mit der Aktion, dass sie sehr wohl genau das sind. Da konnte die Sprecherin der Sprachkritischen Aktion am Dienstag noch so sehr bemängeln, dass die armen Aktivist*innen durch Sprache diffamiert würden.
Dafür, dass es ein Unfall gewesen sein soll, scheint es doch ein sehr absurder Zufall zu sein, dass es sich bei der Chemikalie Paraffin um das Abfallprodukt des fossilen Brennstoffs Erdöl handelt. Farblos und ungefährlich, wie der Großteil der rebellierenden Umweltschützer*innen – zumindest bis vor diesem unsäglichen Autobahn-Vorfall –, erweist es sich als weitaus langlebiger als die bislang gängige Waffe Sekundenkleber.
Auch der Zeitpunkt deutet auf eine Verschwörung hin: Gerade jetzt, wo Lützerath besetzt wird, um den Braunkohleabbau zu stoppen, VW sich vor Gericht wegen der Produktion umweltschädlicher Verbrenner verantworten muss und der Auto-, pardon: Mobilitätsgipfel von Bundeskanzler Olaf Scholz unmittelbar bevorsteht.
Die Schmiererei, die in geformtem Zustand normalerweise für romantische Stimmung im Schlafzimmer sorgt, verursacht nun auf jeden Fall Chaos und Stress auf Seiten der bedauernswerten Autobahnbetreiber. Reicht es üblicherweise aus, ein paar junge, frustrierte Menschen durch schwer bewaffnete Beamt*innen wegtragen zu lassen, sollte im aktuellen Fall ein Hochdruck-Vakuum-Verfahren bei der Entfernung des Verkehrslähmers Abhilfe schaffen. Vergebens. Die Zuständigen mussten in ihrer Verzweiflung die Arbeiten zunächst einstellen und einen Krisenstab ausrufen. Das ist nicht mehr Terrorismus für das Klima, sondern gegen ein gutes (Arbeits-) Klima!
Wenn es sich bei den angewandten Hochdruckverfahren zur Reinigung der Fahrbahn um Maßnahmen handelt, die vergleichbar sind mit jenen, die von Verantwortlichen in Sachen Klimaschutz an den Tag gelegt werden, ist mit einer Umsetzung des Ziels „saubere paraffinfreie Mobilität auf der A7“ realistisch betrachtet nicht vor 2030 zu rechnen.
Oder kann es sich doch um eine Aktion der Autobahnbetreiber handeln à la: „Wir sabotieren uns lieber selbst, bevor ihr es tut“? Ein Wachrütteln der Gesellschaft im Kampf gegen den Klimaterror, dessen Ausmaß gesellschaftlich wie politisch noch immer nicht ernstgenommen wird. There is no Plan B in A7.
Ann-Christin Dieker
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