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volksabstimmungenEin bisschen Demokratie

Politik paradox. Da entscheiden sich die Grünen erstmals für einen Spitzenmann im Bundestagswahlkampf, der alles richten soll, und die Sozialdemokraten kuschen seit Monaten vor ihrem Vorsitzenden wie nie zuvor – und nun das: Die rot-grüne Regierung will noch vor den Wahlen bundesweite Volksentscheide einführen. Die BürgerInnen sollen endlich, wie im Koalitionsvertrag 1998 beschlossen, politisch mehr entscheiden.

Kommentarvon DANIEL HAUFLER

Werden die Deutschen also schon bald über die Ökosteuer, die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches oder die Todesstrafe abstimmen? Wohl kaum. Zwar hat sich die Koalition noch nicht auf Themen geeinigt, die sie vom Volk entscheiden lassen will. Klar ist jedoch, was ausgeschlossen sein soll: der Haushalt, da sei Hans Eichel vor, oder Menschen- und Bürgerrechte, denn da trauen die Grünen den Leuten doch nicht so recht. Wie einst die Väter der Verfassung, so sorgen sich die Regierenden noch immer um die Mündigkeit der BürgerInnen – und wollen daher nur ein bisschen mehr Demokratie wagen.

Dementsprechend schwer wird der Weg von der Volksinitiative über das Volksbegehren zum Volksentscheid: Wer einen Gesetzentwurf ins Parlament einbringen will (Volksiniative), muss 400.000 Stimmen zusammenbekommen. Schon daran würde manch verdienstvolle Initiative scheitern – etwa die „Bürgeraktion mehr Demokratie“: Ausgerechnet sie hat seit Mai 2001 in ganz Deutschland nur 53.000 Stimmen für ihr Modell der Volksinitiativen sammeln können. Wäre das rot-grüne Gesetz schon in Kraft, hieße es nun: Abgelehnt, nach Hause gehen.

Sollte eine Bürgerinitiative gar ein Gesetz ändern wollen, müsste sie 20 Prozent der Stimmberechtigten hierzulande zur Teilnahme an ihrem Volksentscheid gewinnen (und von denen natürlich die Mehrheit). Dieses hohe Quorum wird kaum zu erreichen sein. Das zeigen vor allem Erfahrungen aus Italien.

Das Gesetz signalisiert den WählerInnen: Ihr seid unzufrieden? Wir haben verstanden – und deshalb bekommt ihr mehr Rechte. Doch die Enttäuschung wird groß sein. Mit den geplanten Einschränkungen werden die BürgerInnen nicht für voll genommen. Anders als in vielen europäischen Ländern bleibt ihnen die Mitsprache in den zentralen Politikfeldern verwehrt. Mit den amputierten Volksentscheiden, die derzeit geplant sind, verliert Deutschland den Anschluss an die Entwicklung der westlichen Demokratien.

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