village voice : Hanin Elias, früher bei Atari Teenage Riot, hat sich neue Freunde gesucht
Das Leben nach der Revolution
Atari Teenage Riot sind nicht mehr, Digital Hardcore Recordings hat sich zersplittert und ehemalige Veteranen haben sich inzwischen neue Betätigungsfelder gesucht. Patric Catani hängt heute mit rappenden Handpuppen aus Berlin ab, den Rock-Superstar Alec Empire gibt es in Japan wahrscheinlich längst als Plüschfigur, und Christoph De Babalon verkauft sonntags Platten auf dem Flohmarkt am Boxhagener Platz in Friedrichshain.
Auch für Hanin Elias gibt es ein Leben nach Digital Hardcore, nach dem ganz großen Rummel um eine Musik, die man Punk unter den Vorzeichen von Techno nannte und deren Anspruch es war, Aggressionen bei den Zuhörern nicht etwa ab-, sondern aufzubauen; denn die Revolution kann schließlich nicht warten. Weniger kompromisslos als früher klingt Hanin Elias auf ihrer ersten richtigen Platte nach der Digital-Hardcore-Ära nicht. Eher vielseitiger, sie will nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand, sondern nun lautet das Konzept: Gemeinsam mit ein paar Freunden bringe ich das Gemäuer viel einfacher zum Einsturz.
So ist „No Games No Fun“ mit seiner Unzahl von Mitmachern eines dieser Alben geworden, wie sie im HipHop-Business äußerst beliebt sind. Allein schon die schiere Länge der Gästeliste soll für Abwechslung sorgen: Zu viele Köche machen den Brei erst richtig lecker. Über die Hälfte der Stücke sind dann auch Kollaborationen von legendären Typen wie Alex Hacke, ehemals Einstürzende Neubauten, der männlichen Elektronikdiva Can „Khan“ Oral, dem Klapfenkauz J. Mascis oder dem Bondage-Kenner und Brutalnoiser Merzbow. Klar, wer solche Freunde hat, muss sich keine Sorgen um die Feinde seiner Musik machen.
Den großen Unterschied zu früher, zu den Atari-Zeiten, markiert am ehesten noch Hanin Elias’ Stimme. War diese damals noch bevorzugt auf Kreischen programmiert, singt sie nun am liebsten, und siehe da, Hanin Elias kann sexy singen. Mit Khan wird sogar das schmissige Dance-Duett „Tonight“ intoniert, das man mit Abstrichen als Kuschelmusik durchgehen lassen könnte.
Elias, die übrigens erklärtes feministisches Vorbild für die Musikfernsehen-Moderatorin Charlotte Roche ist, hat mit „No Games No Fun“ den endgültigen Beweis der eigenen musikalischen Integrität erbracht. Das Album erinnert eher an einen Aufbruch zu etwas Neuem als an die Zerstörung des Alten, um die es noch primär bei Atari Teenage Riot ging. Vielleicht hat sich Hanin Elias ja den Song von Knarf Rellöm zu Herzen genommen, der da heißt: „Ihr seid immer nur dagegen, macht doch mal bessere Vorschläge.“
ANDREAS HARTMANN
Hanin Elias: „No Games No Fun“ (Fatal/EFA)