village voice: Vernetzen und abschirmen: Ein Sampler des NBI-Clubs und ein neues Album von Pacou bei Tresor Records
KLEINER TECHNO, STURER TECHNO
Das Kürzel NBI steht für einen kleinen Club in Prenzlauer Berg, der sich „Neue Berliner Initiative“ nennt. „Neu“ kennzeichnet den vorherrschenden programmatischen Ansatz: sich ständig neu erfinden. Deshalb ist es kein Problem, dass die Neue Berliner Initiative bestimmt auch schon wieder über ein Jahr alt ist. Ein Jahr und länger neu, wer oder was kann Ähnliches schon von sich behaupten?
Alt oder neu, hin oder her, mit dem „Neue Berliner Initiative Sampler“ ist nun ein Kleinod der Sprachspielerei veröffentlicht worden. Und eine CD. Eine Compilation, die eine Bestandsaufnahme des bisher Geleisteten darstellt und ein Produkt gewordenes Zeugnis des Vernetzungsgedankens ist, den die Betreiber der NBI, Dirk Mitlehner und Andreas Stobernack, seit der Öffnung ihres Clubs verfolgen. Ziel des Clubs ist es, das wird hier nochmals deutlich, keiner irgendwie gearteten homogenen Szene ein Stammhaus anzubieten, sondern deren viele unterschiedliche zum gegenseitigen Austausch zu bewegen.
Ein wenig funktioniert das wie im derzeit heimatlosen WMF: Anything goes, solange es sich um elektronische Musik handelt. Mit dem Unterschied: Eher no budget als low budget. Kein Babel beispielsweise ist ein so genanntes Plunderphonic-Projekt, das sich ganz der Idee widmet, überall vorgefundenes Soundmaterial so wild in- und miteinander zu mixen, dass das daraus resultierende Ergebnis selbst von den Recyclern nicht mehr kontrolliert werden kann. Und als Hörer braucht man für diese Soundfetzen ziemlich starke Nerven.
Kein Wunder, dass sich sonst kein anderer Berliner Club bereit erklärt, so etwas wie die monatlich stattfindende NBI-Veranstaltung von Kein Babel, die sich „Garten der verschlungenen Pfade“ nennt, einzurichten.
Des Weiteren obskur und deshalb ein Fall für die NBI: N. Grandl, Salon, Trike, Shir Khan. Schon mal irgendwas von diesen Acts gehört? Nein? Jetzt besteht die Möglichkeit, das Unverortbare hat einen Platz gefunden. Ein wenig Licht ins Dunkel bringen Kyborg. Dahinter verstecken sich die beiden Clubbetreiber selbst und außerdem einer der Stammacts des Chemnitz-Berliner Minimal-Techno-Labels Raster-Noton.
Wie ihre Label-Mates Produkt, ein Projekt aus der Chefzentrale von Raster-Noton, die ebenfalls zwei Tracks für die Compilation abgeliefert haben, setzen sie auf spartanische Beatstrukturen, über die ein komplex verwobenes Gelegenheitsgeplucker gelegt wird. Somit steht es ziemlich punktgleich zwischen mysteriöser Seltsamkeit und klarer Ordnung. Und genau darauf soll auch der kulturell-soziale Ansatz der NBI hinauslaufen.
Sozusagen einen Link dazwischen bilden Move D und Farben. Der eine ist der Betreiber des Heidelberger Labels Source, und hinter Farben verbirgt sich der Berliner Jan Jellinek, der auf Source seine elektronische Musik veröffentlicht. Konkrete Linie und Zerfaserung als Symbiose. Die Tracks von Farben und Move D sind die Liner-Notes zur NBI und ihrer Compilation.
Zuerst der Club, dann das Label. Das war bei Tresor vor neun Jahren nicht anders als bei der NBI. Dass sich das eine vom anderen inzwischen gelöst hat, macht die Tatsache deutlich, dass der Club demnächst wahrscheinlich der Neuen Mitte zum Opfer fällt, das Label aber weiter existieren wird. Tresor hat sich über die Jahre hinweg bestimmt nicht ständig neu erfunden. Die Richtung stand von Anfang an fest. Techno kommt aus Detroit, und wer bei Tresor veröffentlichen möchte, muss das kapiert haben. Und Pacou aus Berlin hat definitiv kapiert. Das Cover-Artwork seiner Platte „State of mind“: dunkel, geheimnisvoll, schnörkellos. Der Sound: wie das Cover-Artwork. Außerdem hart, leicht paranoid, kompromisslos. Während die NBI-Compilation mit ihren schillernden Klangfacetten von Aufbruch kündet, hat Pacou völlig den Tresor-Grundgedanken verinnerlicht: sich hermetisch von der Außenwelt abschließen und um jeden Preis die Idee von Techno als Underground konservieren. Die allererste Veröffentlichung auf Tresor war eine Platte von Underground Resistance, einem bis heute an Verweigerungshaltung unübertroffenen Techno-Act aus Detroit.
Wie ein Manifest und roter Faden zieht sich diese Platte durch den Veröffentlichungskatalog von Tresor. Sich auf die Vernetzung mit deren Spirit zu reduzieren ist die Kunst. Pacou beherrscht sie perfekt. Die Initiative Berliner Detroit-Techno ist zwar nicht neu, aber immer wieder erneut aufregend.
ANDREAS HARTMANN
„Neue Berliner Initiative Sampler“ (NBI-Kompakt), Pacou: „State Of Mind“ (Tresor/Efa)
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