piwik no script img

Archiv-Artikel

verteidigung des luxuriösen gegen die demonstrative genussfähigkeit von WIGLAF DROSTE

„Wer nicht genießt, ist ungenießbar“, sang Konstantin Wecker, seinerseits schon damals schwer zu erdulden, in den Siebzigern.

Seitdem ist es mächtig aufwärts gegangen mit dem Ansehen des Genusses: Genuss ist Pflicht, und demonstrativ ausgestellte Genussfähigkeit hat als Statussymbol die proletigere und noch fettiger eingecremte Konkurrenz der Bayerischen Motoren Werke BMW längst überholt. Genießen muss man können, egal was, darauf kommt es nicht an – es zählt die große Geste: Hier komme und bin Ich, das Genussmäneken von Welt.

Keine Tütensuppe wird öffentlich ohne euphorisches Nebengeräusch in den Leib gesogen. „Jjaaahhh …“, seufzt der Zwangsgenießer. Wenn er sich im Dreck der Welt einrichtet, suhlt er sich stolz darin, ein Opfer der öffentlichen und seiner eigenen privaten Gossensuppengenusspropaganda. Schließlich versteht er, das gehört unverzichtbar zu seinem Selbstbild, etwas vom Guten Leben. Während er sich im Labor ausgeheckte Essensverbrechen von Nestlé, Knorr & Co. in den Kopf steckt, funkelt er verführerisch mit den Äuglein.

In der Welt des notorischen Genießenmüssens ist auch das Verschlingen von „Maggi fix“ an ein erotisches Versprechen gekoppelt: Auf Müllverzehr folgt Müllverkehr.

Nur wer über scharfe Sinne verfügt und sie beieinander hat, ist auch bei Trost und Verstand; wer seine Sinne permanent übers Ohr haut und sie über den Tisch zieht, indem er ihnen Simulationsprodukte anbietet, geht ihrer verlustig. Die Behauptung sinnlichen Genießens aber wird um jeden Preis aufrechterhalten: Je denaturierter einer ist, desto lauter wird er behaupten, in Genüssen zu schwelgen.

Lebensmittelindustrie und Lebensmittelwerbung haben ein Kunststück fertig gebracht: Je mehr Reißwolle einer in sich hineinstopft, desto größer ist seine vorgezeigte Freude daran.

Die Vereinbarung zwischen Produzent und Konsument funktioniert: Umso künstlicher und ersatzstoffiger ein Produkt, desto größer die Behauptung seiner Echtheit und Authentizität – und umso hartnäckiger die Beteuerung des um alles betrogenen Konsumenten, er habe das Beste bekommen. Nur indem er sich mit dem Betrug an ihm 100-prozentig einig erklärt, kann er weiter behaupten, nicht betrogen worden zu sein.

Überfluss und Verschwendung sind nicht im Geringsten verwerflich. Ekelhaft ist, dass nur wenige daran teilhaben. Privilegien für alle sind keine Privilegien mehr. Wer an Luxus bloß als Statussymbol interessiert ist, rümpft die Nase, sobald er ihn mit anderen teilt. Ein Luxus aber, der nur in seiner eigenen Simulation besteht, ist lächerlich und also kein Luxus mehr.

Wer Gefälschtes nicht von Echtem unterscheiden kann und sogar noch aggressiv darauf besteht, das Gefälschte sei echt, weil es ihn ja schließlich viel Geld gekostet habe, ist der Sumpf- und Stumpfkopf der Stunde – ein mit dem gelben Sack gefütterter Genießer ohne Genuss.

Was ist Luxus, was ist Glück? Glück ist, wenn man überhaupt nichts mehr muss, vor allem nicht genießen, sondern es einfach nur darf und tut. Das wäre dann wahrer Genuss.