piwik no script img

unterm strich

Es ist kein Geheimnis, dass Marcel Reich-Ranicki für den polnischen Geheimdienst gearbeitet hat. Er war in der Postzensur tätig und wurde vom polnischen Ministerium für Öffentliche Sicherheit nach London entsandt, um Informationen über Emigranten zu sammeln. So viel hatte der Literaturkritiker Reich-Ranicki in seiner Autobiografie „Mein Leben“ berichtet, nachdem dieser Abschnitt seiner Vita Mitte der 90er von Journalisten zur Sprache gebracht worden war.

Die Welt hat nun Details über Reich-Ranickis „Geheimdienst-Karriere“ von 1944 bis 1950 veröffentlicht. Sie beruhen auf der Personalakte Reich-Ranickis, die im „Institut des Nationalen Gedenkens“ in Warschau liegt. Nach den Angaben der Welt war Reich-Ranicki tiefer in geheimdienstliche Tätigkeiten verstrickt, als er bisher zugeben wollte. Er sei „gut in der operativen Arbeit, vernarrt in den Geheimdienst“, und seine Karriere gebe „Anlass zu großen Hoffnungen“, heißt es in der Akte. Reich-Ranicki soll als Leiter einer „Operationsgruppe“ ein Bezirksamt der Staatssicherheit in Kattowitz aufgebaut haben – eine Tätigkeit, die Reich-Ranicki bestreitet. In der Akte finden sich auch Briefe, die Reich-Ranicki aus London an sein Ministerium in Polen schickte. In ihnen verwies er unter anderem auf „Elemente“ unter den polnischen Emigranten, die „verbrecherischen politischen Tätigkeiten“ nachgingen.

Marcel Reich-Ranicki erklärte in einer ersten Stellungnahme, er habe seinen früheren Erklärungen kein Wort hinzuzufügen: „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier jemand eifrig bemüht war, diejenigen Angaben herauszufischen, die vielleicht gegen mich sprechen könnten.“ Bewiesen werde dadurch allerdings noch lange nichts.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen