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Archiv-Artikel

und das soll kunst sein? WALTRAUD SCHWAB über echte und gemalte Schmeißfliegen

„Das Büffet ist eröffnet“, sagt der Künstler und Psychologe Marius Heckmann zur Eröffnung seiner Anti-Ausstellung. Allerdings nähern sich nur die Hungrigen dem Tisch mit den Naturalien und überlegen lange, ob sie zum dargebotenen Knäckebrot den Dill- oder den Sahnehering wählen. Die Schmeißfliege, die die Teller umschwirrt, wird mit der linken Hand weggefegt. Dass es sich um ein Anti-Event handelt, bei dem es um ästhetische Negation geht, wird jedem spätestens am nahrungsmitteltechnisch rar bestückten Tisch klar.

Was sich derzeit in Berlin an Anti-Kunst zusammenbraut, wird nicht mit „Punk“ umschrieben, obwohl es so ähnlich ist. Zudem sind es nicht unbedingt die jungen Leute, die nun den Dilettantismus zur ästhetischen Maxime erklären und sagen: „Du etablierter Kulturbetrieb interessierst mich einen Scheißdreck. Ich weiß, wie man einen Strich aufs Papier macht, und das ist viel mehr, als die meisten jemals können werden.“ Auch eine Bewegung ist noch nicht auszumachen, genauso wenig wie eine Tendenz. Eher eine Haltung. Sie treibt weg vom sich selbst beweihräuchernden Kunst-Hype, vom Unbezahlbaren, vom pseudo-intellektuellen Meta-Talk, den noch nicht einmal Insider verstehen, vom Name-dropping, vom Mit-Sekt-in-der-Hand-Herumstehen-und-wichtig-Sein. In der neuen Haltung geht es um nichts. Das ist alles.

Es sind die Hinterzimmer in Neukölln, die Souterrainläden im Wedding, die Frühstückssäle von beschaulichen Hotels, wie dem Bogota in der Schlüterstraße, in denen sich die Menschen dieser derzeit stadtweit auszumachenden Haltung treffen und etwas zeigen. Was? Ihr Eigenes! Stilrichtungen spielen keine Rolle, um Bewunderung geht es auch nicht oder doch nur ein bisschen. Eines allerdings ist unabdingbar: Kommunikation. Oder Anlass zur Kommunikation. Wie neulich im Bogota. Das ist nicht irgendein Hotel, sondern eines mit Herz, wo Yva ihr Atelier hatte und Helmut Newton sich verlustierte.

Heckmann enthüllt zwei Bilder: Porträts im strengen Sinne seien es. Bevor der Vorhang weggezogen wird, teilt er in einer kurzen Rede mit, dass das Verhältnis zwischen Porträt und Porträtiertem ein gespaltenes ist. Die Abwesenheit der realen Personen hinterlässt eine Leerstelle, die erst durch das Abbild erkennbar wird, aber niemand kümmert es. Demnach sind die Porträtierten die Waisenkinder der Kunst.

Nun ja, das ist immerhin eine These, die so oder so ähnlich in den Raum gesprochen wurde, und darüber kommen die Anwesenden miteinander ins Gespräch. Dabei ist beispielsweise zu erfahren, dass kleine Mädchen wieder auf „Elisabeth“ getauft werden und dass die Fantasie bei denen viel stärker angeregt werde, die die Spiele der Europameisterschaft am Radio verfolgten. Auf diese Weise könne man das Uneffektive des Fernsehens auch noch kompensieren, indem man gleichzeitig ein Bild male. Sein Bild male! Wirklich, es ist egal, worüber man spricht, es ergibt sich von alleine. Unterstützt wird der freie Assoziationsprozess in diesem Frühstückszimmer am Abend zudem noch durch einen kleinen Frauenchor, der „Heidi, Heidi“ singt, „deine Welt sind die Berärge.“

Endlich wird der Vorhang gezogen. Zwei Bilder werden enthüllt. Auf dem rechten bietet sich eine Karikatur dar. Vor alpensattem Hintergrund sitzt das besungene Heldenmädchen ihrem Ziegenpeter gegenüber und reicht ihm etwas, was in seiner kastigen Form an Knäckebrot erinnert. Das Bild daneben zeigt eine überdimensionale Schmeißfliege. Anders als in den etablierten Museen kann so nun auf jeden Fall festgehalten werden: Das Porträtierte – Knäckebrot, Schmeißfliege und Heidi – ist anwesend. Entfremdung findet nicht statt.