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Archiv-Artikel

ulrike herrmann über Non-Profit Die Show geht weiter

In den letzten Wochen sind fast alle, die ich kenne, zu Verbal-Generälen avanciert

Es war kein Termin, der als „sexy“ galt. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz lud zur Pressekonferenz, um erneut zu behaupten, dass sich alle Sozialdemokraten einig sind – obwohl der linke Flügel gerade Dissens angemeldet hatte. Diesmal zur Regierungserklärung des Kanzlers. Es war eines dieser Themen, über die Journalisten schreiben, aber nicht reden. Da gab es bessere Möglichkeiten, sich vor den Kollegen zu profilieren, während man wartete, dass der Generalsekretär erschien. Ein paar Sitze weiter: „Fliegst du auch nach New York?“ – „Nein, du?“ – „Ja, ich packe meinen Koffer schon gar nicht mehr aus.“ Ende des Gesprächs. Es war ja auch alles geklärt zwischen den beiden. Der eine war zum Fußvolk von Joschka Fischer aufgestiegen, der andere nicht. Die Bedeutung eines Journalisten definiert sich momentan durch seine Nähe zum Irakkrieg.

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Ein Kollege kommt vorbei, der für ein großes Magazin arbeitet. Man hätte ihn gefragt, ob er aus Kuwait berichten wolle. Er lehnte ab. „Ich hatte keine Lust auf ABC-Schutzanzüge.“ Es klingt durch, wie stolz er ist, dass er die Wahl hatte. Schließlich wird nicht jeder gefragt. Beinahe hätte ich trotzig damit geprotzt, dass ich meine Schuhputzcreme in einem Munitionskasten aus dem Ersten Weltkrieg aufbewahre.

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„Er hat abgelehnt!?“ Eine amerikanische Freundin glaubt es kaum. „Aber das ist doch Abenteuerurlaub!“ Sie könnte wissen, wovon sie redet. Ihr Mann ist Kriegsreporter. „Du bist wichtig, fährst viel rum, und die Bomben fallen woanders.“

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Diesmal sollen nicht nur Cruise Missiles einschlagen, sondern auch „Geräuschbomben“, wie mir ein Freund erklärt. „Eine superneue Entwicklung der Amerikaner!“ Sie sollen angeblich nicht töten, „aber durch ihren Krach betäuben die Bomben für mehrere Tage“. Auch Kriegsgegner können sich nicht der Faszination der Macht entziehen. Fast alle, die ich kenne, sind zu Verbal-Generälen avanciert. Das erinnert verdammt an Fußballweltmeisterschaften, wo man nur noch Verbal-Trainern begegnet.

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Tausende von Irakern werden sterben, das räumt die US-Regierung ein. Es bleibt eine abstrakte Zahl, obwohl es zum Leben gehört, sich den Tod vorzustellen. Auf einer Party, noch vor dem Ultimatum: „Ich plane mein Sterben“, erzählt ein entfernter Bekannter etwas unvermittelt, während wir an der Bar lehnen. „Gucken Sie nicht so schockiert!“ Er meine das „pragmatisch, nicht pathetisch“. Demnächst würde er 60, „da fängt man einfach an, über den Tod nachzudenken“. Und er fragt, ob meine Eltern noch leben. Ich nicke und er nickt auch: „Deswegen sind Sie in der pathetischen Phase.“ Er schien zu meinen, dass ich mir heillose Angst leisten kann, weil mich noch eine Generation vom Ende trennt. Vielleicht hat er Recht, vielleicht muss Tod nicht schrecken, schon gar nicht im Alter – und solange man sich einbilden kann, das eigene Sterben zu kontrollieren. Aber diese Fiktion ist den Irakern genommen. Ihr Tod wird einfach verfügt. Das bleibt unvorstellbar.

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Die Briefe meiner Großeltern sind erhalten. Auch aus dem Dritten Reich. Eines Tages schreibt er an sie von der Front: „Meinst du nicht, dass bei uns zu viele Menschen erhängt werden?“ Er schien nicht zu fürchten, dass seine Briefe von der Gestapo gelesen werden. Seine Schreiben hatten ja auch keine Folgen. Was wohl im Irak so ausgetauscht wird, ohne dass es das Regime Hussein gefährdet?

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Eine Nachbarin war einst Krankenschwester in einer NS-Klinik. Sie hatte zwar mit dem Euthanasie-Programm nichts zu tun, so sagte sie, aber sie hat davon gewusst. Sie verdrängte die Erinnerung, bis sie zu erschöpft war. Irgendwann konnte sie nur noch an ihre ermordeten Patienten denken, aber sie traute sich kaum, von ihnen zu sprechen. Sie verstummte lange bevor sie starb. Bush weiß, warum er seine Opfer von sich fern hält und höchstens auf CNN betrachtet.

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Bald wird das Fernsehen sowieso neue Events bieten. Denn der Krieg soll nur eine Sache „von Tagen, vielleicht Wochen“ sein. Sagen die US-Generäle. But the show must go on. Für den 23. März steht das Programm schon fest, Oscar-Verleihung. Wahrscheinlich wird dann auch das Musical „Chicago“ ausgezeichnet. Weltweit führt es vor, wie sich Amerika selbst sieht: „If you can’t be famous, be infamous.“ Oder wie man durch Mord zu Ruhm kommt. Das Motto ist ironisch gemeint. Aber genauso ließe sich beschreiben, was Bush vorhat.

Fragen zu Kriegsbeobachtern?kolumne@taz.de