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Archiv-Artikel

ulrich schulte über den klimawandel im kleinen Kampfhund Tinchen und das Gewächs der Demütigung

Ich hätte nicht gedacht, dass mir der Putzeimer, der in unserer Vorratskammer steht, mal eine derartige Niederlage zufügen würde. Auch die Linde, die vor unserem Haus steht, habe ich bisher als leise raschelnde Bereicherung unseres Balkonlebens wahrgenommen, nicht als Gewächs der Demütigung. Aber in unserem Kiez in Nord-Neukölln werden die Regeln des Zusammenlebens jeden Tag neu geschrieben. Mancher unserer Nachbarn hält es für einen Akt spontaner Mitmenschlichkeit, seine fleckige, zerrupfte Schaumgummimatratze über Nacht auf den Bürgersteig zu legen – versehen mit einem Zettel, jeder könne sich gerne bedienen.

Der Eimer und ich führen eigentlich eine geregelte Beziehung. Jeden Samstag treffen wir uns, hören Radio und putzen gemeinsam Klo, Badewanne, Waschbecken und noch ein paar andere Kleinigkeiten – ja, ja, das Journalistenleben ist schon ein wildes. Wenn aber mal wieder eine Jahrhundertdürre ihren Lauf nimmt, wie im Moment, gehe ich zum Eimer und sage: „Auf, Eimer, lass uns dem Klimawandel ein Schnippchen schlagen!“ Putzlappen raus, gute Gesinnung und Wasser vom Hahn im Innenhof rein, Haus- und Hoftür festgekeilt und schon startet eine Baumbewässerungsaktion nach allen Regeln der Kunst, denn das Stück Erde um unsere Linde gleicht inzwischen der Wüste Gobi, auf der steinhart getrocknete Kotwürste von mehreren Hundekarawanen zeugen.

Für die Nachbarn ist das immer eine große Show. Der Feinripp-Rentner von gegenüber rückt sein Kissen auf der Fensterbank zurecht, der türkische Bäcker winkt freundlich. Dann biegt eine Neuköllnerin in den Vierzigern um die Ecke. Sie trägt einen speckigen Trenchcoat und eine Frisur, die den Kampf gegen die Blondierung längst gewonnen hat. Sie erblickt die Pfützen um den Stamm, in denen sich die Sonne spiegelt, und bleibt abrupt stehen, völlig konsterniert. Ich auch. Ich kenne sie nicht. Und den gefleckten Pitbull mit dem fiesen Ausdruck in den Augen, den sie locker an der Leine führt, will ich nicht kennen lernen. Er hat seinen Maulkorb vergessen.

Die Kampfhundhalterin zieht die Mundwinkel nach unten: „Nee, Tinchen, setz dir nich’ dahin! Da machste mir ja den janzen Teppich schmutzig, bei der Sauerei.“ Beide drehen langsam den Kopf und schauen mich an. Das ist, kurz gesagt, kein schönes Gefühl. Das Resultat meiner Arbeit hindert Tinchen am Geschäft, so viel ist klar, und sie guckt schon ganz verkniffen.

In solchen Momenten soll ja das Leben nochmal vor dem inneren Auge ablaufen. Das stimmt nicht. Mir schießen viel profanere Gedanken durch den Kopf: Kann ich den Eimer, der in meiner Hand baumelt, verleugnen? Hält die Leine? Schaffe ich es im Zweifel bis zur Haustür? Ich gestehe: Die Anwandlung, der Dame zu sagen, sie solle ihre Töle vor ihr eigenes Haus scheißen lassen, verwerfe ich sofort. Tinchens Reißzähne sprechen dagegen. Der Rest ist schnell erzählt. Frauchen und Tinchen sagen nichts mehr. Ein Ruck an der Leine, und beide gehen in einem Bogen um mich, die lebende Bewässerungssäule, herum. Fünf Meter weiter entleert Tinchen ihren Darm mitten auf den Bürgersteig. Und ich habe geschwiegen.

Das Wochenendwetter: immer noch kein Regen Der Tipp: Wer seinen Baum sicher bewässern will, hängt vom Balkon aus einen Schlauch in die Astgabel Wo laufen Sie heiß? erhoehtetemperatur@taz.de