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Archiv-Artikel

uli hannemann, liebling der massen Frauen in Begleitung von Schimpansen gehen Richtung Strausberger Platz

Seit Jahren komme ich am Alexanderplatz/Ecke Karl-Liebknechtstraße mindestens zweimal die Woche an einem ausgesprochen merkwürdigen Hinweisschild vorbei: Ein Piktogramm stellt über einem lang gezogenen, Richtung Karl-Marx-Allee weisenden Pfeil ein Strichmännchen mit langen Haaren und Rock dar, das an der Hand ein weit kleineres Strichmännchen ohne Rock und Haare hält.

Das große Strichmännchen ist vermutlich ein Strichmädchen, respektive eine Strichfrau. Darauf deuten auf etwas stereotype Weise zumindest der Rock und die Haare hin. Dazu das kleinere Wesen – ein Strichjunge, Mutter und Kind also? Wohl kaum. Das kleinere Wesen hängt auf eine Art an ihrem stilisierten Arm, die mich an die legendäre Safari-Serie „Daktari“ erinnert. Es könnte also ein kleiner Menschenaffe sein, ein junger Schimpanse vielleicht. Daraus ergibt sich folgende Botschaft: „Frauen mit Schimpansen müssen sich an dieser Stelle Richtung Strausberger Platz begeben.“ Über den Grund kann ich bloß spekulieren: Vermutlich gibt es dort eine Einrichtung für Frauen in Begleitung von Affen, beziehungsweise von Affen in Begleitung von Frauen.

Es ist sehr lobenswert, dass darauf hingewiesen wird. Man stelle sich vor, am Regionalbahnhof Alexanderplatz kommt eine Frau mit ihrem Affen an, vermutlich von weit weg, aus Afrika zum Beispiel. Auf der Fahrt hierher mussten sie geschätzte 85-mal umsteigen, und jetzt ist alles fremd und unheimlich. Verzweifelt irren die beiden durch den unübersichtlichen Bahnhof, auf dem nämlich gerade ein ebensolches Schild fehlt. Sie fragen die Passanten, wenn sie überhaupt der Sprache mächtig sind, und die wissen ebenfalls von nichts oder wollen gar in böswilliger Absicht angeblich von nichts wissen. Manche gucken auch doof oder machen blöde Sprüche wegen des ungewohnten Anblicks – das nervt, das erniedrigt, das schmerzt die Frau, und selbst das Äffchen bekommt die Stimmung intuitiv mit und kreischt traurig vor sich hin.

Sie verlassen das Bahnhofsgebäude, beide schon müde und hungrig von der Suche und nicht zuletzt der megalangen Reise. Beinahe werden sie überfahren, wegen der ungewohnten Verkehrsdichte, und da es am Alex kaum Fußgängerüberwege gibt, bis sie, halb verdurstet, Ecke Karl-Liebknecht-Straße zu guter Letzt auf das besagte Schild stoßen.

Vor Freude und Dankbarkeit hat die Frau Tränen in den Augen, fröhlich schnattert das Schimpansenjunge. Endlich wissen sie, wohin sie müssen, und tatsächlich stehen sie eine Viertelstunde später vor einem schmucklosen 50er-Jahre-Flachbau, am Eingang ein Klingelschild in ganz vielen Sprachen, „Affen- und Frauenheim“. Drinnen gibt es ein Klettergerüst für den Primaten, Schuhe und Schminksachen für die Frau und Südfrüchte für beide. Das bedient zwar gleichfalls gängige Klischees, aber nach dem Hinweisschild ist das ja nun kein Wunder mehr, und es ist immerhin doch gut gemeint. Frau und Tier wissen das Heim als allererste Anlaufstelle jedenfalls durchaus zu schätzen.

Der übergroße Pfeil könnte freilich auch einen Speer darstellen: „An diesem Platz können Frauen, Schimpansen und Speere gelagert werden.“ In der Tat findet sich in der Nähe ein kleines Geländer, an das man die Speere lehnen, die Affen binden und auf das sich die Frauen setzen könnten, um eine zu rauchen, bis sie alle abgeholt werden. Oder meint die Gestalt mit Rock und langen Haaren gar keine Frau, sondern einen langhaarigen Schotten? Und ist stattdessen der Pfeil womöglich wirklich ein Pfeil? „Hier wird demnächst ein Bogenschießplatz für Zwerge in Begleitung von schottischen Hippies eingerichtet. Zwerge ohne beziehungsweise in anderer Begleitung bitten wir, auf den für diese Fälle vorgesehenen Schießplatz in Karow-Nord auszuweichen!“ Kann sein, kann auch nicht sein. In jedem Fall aber eine feine Sache das – von wegen Dienstleistungswüste Berlin! ULI HANNEMANN