uli hannemann, liebling der massen : Ein stolzer Mann, ein stolzes Stinken
Ich sitze vor einem Straßencafé in der Sonne. Es herrscht reger Betrieb, doch die Tische neben mir bleiben unbesetzt. Ich stinke.
Ich stinke gern. Irgendwann habe ich es mir einfach angewöhnt. Das war am Anfang alles andere als leicht. Die Scham war groß, dieses alberne sittenverhaftete „Das macht man nicht“, „Wie sieht das denn aus?“, oder besser: „Wie riecht das denn?“ Was für ein schäbiger Opportunismus: Ich wollte beliebt sein, einen guten Eindruck machen, keine Abscheu erregen, schon gar nicht bei Frauen. „Erst gut riechen und dann – zack – ab ins Bett“, so hab ich sauberer Zausel mir das wohl gedacht. Widerlich! Ein parfümiertes Sexmonster, das damit bloß vergeblich versucht, sein mangelndes Selbstwertgefühl zu kompensieren.
Zum öffentlichen Stinken gehört hingegen wirklich Selbstbewusstsein. Ich brauchte lange. Soziale Barrieren mussten eingerissen, frühkindliche Determinierungen gelöscht werden. Ein erster Fortschritt war, das Ergebnis des morgendlichen Geruchstests an der Kleidung vom Vortag situativ zu interpretieren: „Eigentlich geht’s ja echt nicht mehr. Was mache ich denn heute? Nur Taxifahren? Ach, scheiß drauf!“ Ein nicht zu unterschätzender Vorteil: Wenn ich ins Auto furze, fällt es noch nicht einmal auf. Die Fahrgäste ahnen überhaupt nicht, wie viele Gedanken wir Taxifahrer uns machen – von wegen Dienstleistungswüste Deutschland!
Mit der Zeit fand ich es außerdem unpraktisch, wenn ich später am Tag noch Sport treiben wollte, vorher zu duschen – das konnte ich schließlich auch noch danach. Seitdem lief ich durch den Park und stank. Dann kam ich auf die Idee, auf dem Heimweg gleich meine Einkäufe zu erledigen. Natürlich war es äußerst gewöhnungsbedürftig, schwitzend und auch für sich selbst merklich stinkend, dicht an dicht mit anderen Menschen in der Schlange an der Supermarktkasse zu stehen. So manches Mal errötete ich oder wünschte mich woandershin, doch ich bin an der Aufgabe gewachsen. Heute kann ich es: selbstbewusst stinken; genau zu wissen, dass andere sich ekeln, so wie man sich früher selbst geekelt hätte; wissentlich das Gegenteil von attraktiv zu sein – das ist eine Einstellung, zu der ein ehemals eitler Pfau, der obendrein niemals unangenehm auffallen wollte, mit Umweg über seine innere Mitte erst einmal finden muss.
„Hier stinke ich, ich kann nicht anders“: ein Mann, ein Wort. Inzwischen wasche ich mich praktisch gar nicht mehr. Auch meine Zähne putze ich selten. Der Mundgeruch ist der ungekrönte König der Körperausdünstungen. Ungekrönt? Ein Fehler eigentlich. Man sollte dem Mundgeruch in einer feierlichen Zeremonie im Dom zu Worms eine Krone aufsetzen und ihn dann, in einer von zwanzig prächtigen Schimmeln gezogenen Kutsche aus gediegenem Gold, durchs ganze Land fahren. Und überall am Wegesrand würde das Volk stehen und ihm zujubeln: „Lang lebe unser Mundgeruch – hoch, hoch!“
So stelle ich mir das vor, an meinem Tisch vor dem kleinen Café. Ich komme gerade vom Joggen und schwitze wie ein halb verwestes Schwein. Nachher gehe ich in die Sauna und dann vielleicht noch Klamotten anprobieren. Das geht alles. Ich fühle mich frei. An der Ecke hängt ein Plakat: „150 Jahre Berliner Wasser. Herzlichen Glückwunsch!“ Ja, herzlichen Glückwunsch auch von mir. Aber ich kann drauf verzichten.ULI HANNEMANN