uli hannemann, liebling der massen : Die Ersten werden die Ersten sein: Jahreswechselumzug mit Autoren
Ich erscheine als Erster zum Umzug. „Einige haben noch kurzfristig abgesagt“, begrüßt mich der befreundete Kollege, der sich auf den allerletzten Drücker kurz vorm neuen Jahr verändern will. Womöglich sei er selbst nicht ganz unschuldig: Zunächst hätten sich nämlich so viele angekündigt, dass er den Kandidaten mitgeteilt habe, sie bräuchten eventuell nicht mit absoluter Notwendigkeit zu erscheinen. Die hatten daraufhin „vielleicht“ gesagt.
Au Mann! „Vielleicht“! Vielleicht ist das Nein der Könige.
Im Flur und in den Zimmern stapeln sich die Bücherkisten bis zur Decke. Dazwischen ragen Regale und Möbel, wohin das Auge blickt. Der befreundete Kollege drückt mir einen viel zu kleinen Kreuzschlitz in die Hand: Ich soll damit ausgeleierte Schrauben aus den Wandregalen ziehen. Der befreundete Kollege ist offenkundig komplett wahnsinnig. Ein Umzugstag, an dem noch die Regale an der Wand hängen, ist für mich kein Umzugstag, sondern schlicht der Tag, an dem einem gutgläubigen Helfer eine anmaßende Ungezogenheit wie ein uringetränkter Waschlappen ins Gesicht geschlagen wird.
In einer Art Schockzustand schleppe ich allein die ersten Kisten. Mit der Zeit trudeln dann doch noch weitere Kollegen ein. Auf die und deren Zuspätkommen kann man sich wenigstens verlassen. Andere Helfer: Fehlanzeige – Autoren haben keine Freunde. Stattdessen sind am Ende mal wieder ausschließlich Kollegen da.
Ich mag das ja nicht so gern. Autoren sind für Umzüge nicht geeignet. Sie sind körperlich oft relativ schwach, unpraktisch, unkoordiniert, notorisch unkonzentriert und ungeschickt an der Grenze zum Schlaganfallverdacht. Ihre Ausdauer ist gering – ständig bleiben sie stehen, um in die Luft zu gucken, eine zu rauchen oder sich Notizen zu machen. Um diese Tageszeit sind viele obendrein verkatert. Außerdem sind Autoren meist Individualisten, die argwöhnisch vermeiden, sich in irgendein System pressen zu lassen. Kette geht also schon mal gar nicht.
Entnervt verziehe ich mich zum Verstauen auf die Ladefläche. Ich bitte die Autoren darum, zunächst alle Kisten und danach die größeren Möbel zu holen. Nach ein paar Kisten werden mir einzelne schmutzige Socken gereicht. Ich bitte die Autoren erneut darum, erst einmal Kisten und dann Möbel zu bringen. Einem Regal folgt daraufhin das Gummientchen aus der Badewanne. Ich bitte die Autoren nochmals inständig darum, an die Kisten und die Möbel zu denken. Die Autoren gucken in die Luft und machen rauchend Notizen. Dann passiert gar nichts mehr. Pause. Sie sehen dem befreundeten Kollegen beim Regalabschrauben zu. Ich weine.
Ein verspäteter Autor trifft ein und fragt mich, was er machen soll. Ich weise ihn an, jedem Kollegen, den er auf der Treppe mit etwas Kleinerem als einer Kiste anträfe, mit einem schönen Gruß von mir die Fresse zu polieren. Endlich geht es weiter: Ich verstaue ein Nähkästchen, zwei Ohrenstöpsel sowie einen goldfarbenen Pudel aus Asbest.
Gegen Ende des Umzugs erscheinen auf einmal jede Menge Kisten und Möbel und zum Schluss die Waschmaschine. Good old Waschmaschine, Kür der Schlepperei und muffig tropfende Königin des Hausrats. Normalerweise rechnet man zwei Männer für eine Waschmaschine. Zwei Männer oder vier Autoren. Das literarische Quartett stimmt trotzdem ein Geheul an, als habe man sich mit ihrem frischen Manuskript den Arsch abgewischt. Die Maschine wird eingeladen, die Klappe geschlossen, das Gejammer verebbt. Ich fahre das Umzugsauto zur neuen Wohnung des befreundeten Kollegen. Dort schlage ich, mangels Ausdauer bereits aufmerksamkeitstechnisch geschwächt, beim Wenden derart unkoordiniert ein, dass ich einen parkenden Wagen beschädige. Ich bin eben auch nur ein Autor.
Das wird teuer! Zum Glück habe ich kein Geld. Nachdem ich mich mit Polizei, Verleihfirma und Autobesitzer herumgeschlagen habe, greife ich endlich wieder ins Umzugsgeschehen ein: Beim Herunterheben fällt ein Schränkchen des ehemals befreundeten Kollegen auseinander, eine Sonnenbrille purzelt heraus und zerschellt auf dem Asphalt. Das abgelöste Schrankteil wird derart unverzüglich von einem nachfolgenden BVG-Bus zermalmt, als habe dieser bloß auf den Moment gewartet. Schließlich stehen wir in zweiter Spur auf einer Hauptverkehrsstraße. Es ist Samstagnachmittag vor Silvester. Wir verursachen Stau. Alle hassen uns.
Beim sinnlosen Auflesen der Trümmer reißt mich ein Kollege von der Straße und in die Realität zurück – um ein Haar hätte der nächste Bus auch mich überfahren. Nach getaner Arbeit scherzen oben die Autoren: „Keine Sorge! Wir machen einfach eine Benefiz-Lesung. Mit Umzugsgeschichten und so. Unter dem Motto ‚Rettet Tollpatsch-Uli!‘.“ Ich esse einen Teller Umzugssuppe. Ich trinke kein Umzugsbier. Als Erster bin ich gekommen, als Erster gehe ich wieder.