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Archiv-Artikel

ukraine Fataler Kompromiss

Einer der schönen Schlachtrufe der Demonstranten in Kiew lautet: „Wir sind viele, man kann uns nicht besiegen.“ Hoffentlich behalten sie damit Recht. Denn mit dem Kompromiss, auf den sich Regierung und Opposition am Mittwoch geeinigt haben, hat Präsident Leonid Kutschma seine Position weiter verbessert.

KOMMENTAR VON HEIKE HOLDINGHAUSEN

Die Opposition gibt die Blockade der Regierungsarbeit auf und setzt auf Verhandlungen. Damit gibt sie ein wichtiges Druckmittel aus der Hand. Gleichzeitig stimmt sie zu, nicht nur das Wahlgesetz zu überarbeiten, sondern auch die Machtverteilung zwischen Präsident und Parlament neu auszutarieren. Das bedeutet nichts anderes, als dass Kutschma den Wahlsieg Wiktor Juschtschenkos zwar akzeptiert – aber nur, wenn dieser nicht so mächtig wird wie er selbst.

Ein solcher Kompromiss wäre fatal für die Ukraine. Im schlimmsten Fall würden sich in Regierung und Parlament die Truppen Juschtschenkos und Kutschmas ein ständiges Gefecht um Macht und Einfluss liefern – ohne eine nachhaltige Änderung der Strukturen. Solange die Oligarchen und alten Sowjetkader um Kutschma an der Macht beteiligt bleiben, haben Rechtsstaat und Demokratie keine Chance.

Dass das Kompromisspapier im Übrigen die weiteren Verhandlungen von der Entscheidung des Verfassungsgerichts abhängig macht, bedeutet nicht die Verrechtlichung der Regierungskrise. Denn ausgerechnet diese Entscheidung verweist auf die Gesetzlosigkeit, die in der Ukraine herrscht. Zwar schien das Oberste Gericht vergangene Woche eine gewisse Eigenständigkeit zu beweisen, als es sich gegen Wiktor Janukowitsch stellte. Doch eine Haltung gegen den Ministerpräsidenten zu beziehen bedeutet nicht, gegen den Präsidenten zu opponieren. Die entscheidende Figur ist Kutschma, nicht der unselige Janukowitsch, der nur noch auf seine sanfte Entsorgung wartet.

Außerdem ist die Entscheidung der Robenträger nicht bindend und nur deshalb wichtig, weil sich die maßgeblichen politischen Akteure – Präsident und Opposition – darauf geeinigt haben, sie wichtig zu finden. Wenn sie von dieser Übereinkunft ablassen, können die Richter auf den Dnjepr Schlittschuh laufen gehen und dort die gleiche Wirkung entfalten wie in ihren Amtssesseln. Die Betonung des Gerichtsurteils und die Verlagerung der Krise an den Verhandlungstisch vermitteln eine Legalität und Ordnung, die das Tauziehen um die Macht in der Ukraine nicht hat.