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überdigitalisiertDie FDP will digitale Streetworker für Jugendliche

Eine super freshe Idee hat jetzt die FDP Niedersachsen. Sie fordert ein Landesprogramm für digitale Streetworker. Weil sich „das Leben der Jugendlichen zunehmend in den digitalen Raum“ verlagere, wie es am Dienstag in einer Pressemitteilung hieß, vor allem seit Corona. „Mehr denn je haben Jugendliche seitdem den digitalen Raum genutzt, um mit Freunden und Familie zu interagieren.“ Deshalb sei digitale Streetwork sinnvoller, als in Schulen und Jugendhilfeprogramme zu investieren, wie es die niedersächsische Landesregierung mit ihrem beendeten 25 Millionen Euro schweren Aktionsprogramm „Startklar in die Zukunft“ getan hatte, das die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche abmildern sollte.

Klar. Wenn die Kids nicht mehr auf der Straße, in Sporthallen und Freizeitheimen herumlungern, sondern in Telefonen und Tab­lets, müssen die erwachsenen Hel­fe­r:in­nen ihnen dorthin folgen. Es brauche „eine verlässliche digitale Anlaufstelle, wo sie gezielte Beratung und Unterstützung für ihre individuellen Sorgen und Probleme erhalten können“, wird die Generalsekretärin der Niedersachsen-FDP, Imke Haake, in der Pressemitteilung zitiert. Sie erklärt, warum Jugendliche nach der Pandemie so dringend Hilfe bräuchten: Weil sie „die psychosozialen und emotionalen Folgen, bedingt durch das weitgehend vollständige Herunterfahren der sozialen Kontakte“, bis heute spüren würden.

Nun könnte man daraus folgern, dass es gut wäre, alles zu fördern, wo sich Menschen in echt begegnen, sich auch mal in den Arm nehmen können. Aber wir können vorher abbiegen und der FDP fröhlich zurufen: Entspannt euch, die Lage ist besser als ihr glaubt! So zeigte die umfangreiche Copsy-Studie von Wis­sen­­schaft­­le­r:in­nen am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf Ende 2024, dass Kinder und Jugendliche zwar häufiger psychisch belastet seien als vor der Pandemie, aber sich der Anteil seit 2020 wieder verringert hat. Besonders gefährdet seien Kinder und Jugendliche in prekären Lebensverhältnissen.

Und: Die kleinen Kröten kriechen wieder aus dem Netz heraus, wie der aktuellen Jim-Studie (Jugend, Information, Medien) des medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest zu entnehmen ist. Die befragt seit 1998 jährlich Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren zu ihrer Mediennutzung und stellt fest, dass sich im Vergleich der vergangenen zehn Jahre die Online-Nutzungszeit „auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau befindet“. Im Durchschnitt verbrachten die 1.200 Befragten im vergangenen Jahr 200 Minuten täglich online, eine Minute mehr als 2016. Im ersten Corona-Jahr 2020 waren es mit 258 Minuten täglich so viel wie nie zuvor oder danach.

Entwarnung gibt auch die jüngste Shell-Jugendstudie, für die im vergangenen Jahr 2.509 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren befragt wurden: „Die Corona-Pandemie hat das Freizeitverhalten der jungen Menschen nicht grundlegend verändert: Der langfristige Trend zu mehr digitalen Beschäftigungen setzt sich fort, bei Geselligkeit, Ausgehen und Sport haben sich in den letzten fünf Jahren keine dramatischen Veränderungen ergeben.“ Aber weil es den Trend gibt, haben bundesweit viele Beratungsstellen schon vor 20 Jahren begonnen, ihre Angebote im Netz und später auch über Messenger-Dienste verfügbar zu machen, zum Beispiel Pro Familia mit Informationen über Sexualität (2001) oder das Mädchenhaus Bremen (2004) bei Gewalterfahrungen.

Wie viel Geld bitte lässt sich sparen, wenn Kinder und Jugendliche von künstlicher Intelligenz betreut werden?!

Natürlich enthält der FDP-Vorstoß in digitale Welten auch echte Chancen. Wie viel Geld bitte lässt sich sparen, wenn Kinder und Jugendliche von künstlicher Intelligenz betreut werden?! Folgerichtig taucht das Wort „Sozial-“ oder „Jugendarbeit“ im aktuellen Programm der FDP zur Bundestagswahl auch gar nicht erst auf. Dafür, steht darin, sollen Jugendliche früher und günstiger den Führerschein machen dürfen. Auch eine Form von Streetwork. Eiken Bruhn

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