piwik no script img

Archiv-Artikel

touristenboom Der rote Teppich bleibt eingerollt

Der Berliner ist flapsig, frech und für seinen besonderen Charme berühmt. Manch einer schickt fragende Touristen bewusst in die falsche Richtung, zumindest wenn sie nach dem Straßenstrich in der Oranienburger Straße fragen. Offensichtlich ist: Die Touristen strömen nicht in Scharen in die Stadt, weil der Berliner so nett ist, sondern weil Berlin interessant und vergleichsweise günstig ist. Die Einheimischen und ihre Sitten – „Nu sach schon, watte willst“ – nehmen sie dabei in Kauf, nach Möglichkeit ignorieren sie sie aber.

Kommentar von RICHRAD ROTHER

Auch den Berlinern sind die Touristen weitgehend egal. Touristenbusse werden längst nicht mehr mit Farbbeuteln beworfen, wie noch vor 20 Jahren in Kreuzberg – vermutlich von Leuten, die heute als Kneipiers oder Werber vom Touristenboom profitieren. Hier und da regt sich zwar, etwa in Mitte, leichter Unmut über die vielen Touristen, aber in der Regel werden sie hingenommen wie der Karneval der Kulturen, das Turnfest oder das Pokalendspiel. Schließlich ist Berlin groß genug, den Massen aus dem Weg zu gehen. Und wie Palma de Mallorca wird Berlin nie, schon wegen des Klimas.

Das Nichtverhältnis von Berlinern und Touristen verwundert vor allem, weil es dem ökonomisch geprägten Zeitgeist widerspricht. Inzwischen lebt mehr als jeder zehnte Berliner Erwerbstätige direkt oder indirekt von dem Geld, das die Touris bringen. Nicht nur Hotels und Gaststätten, auch Bau und Einzelhandel, Druckereien und Werbeagenturen partizipieren am Tourismusboom.

Die Stadt, die sonst wenig hat, müsste also eigentlich den roten Teppich für jeden Gast ausrollen. Dass sie es nicht tut – allen gegenteiligen Appellen von Managern und Politikern zum Trotz – ist schon wieder typisch Berlin. Irgendwie cool.