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Archiv-Artikel

thiago neves Klein und fein

Als Thiago Neves in der 89. Minute, umrauscht vom Beifall der HSV-Fans unter den 55 200 Zuschauern, zwei mal sich bekreuzigend den Platz verließ, da wurde er zunächst vom für ihn ins Spiel kommenden Jerome Boateng umarmt, dann liebkoste ihn Martin Jol, Trainer des Hamburger SV, dann der Co-Trainer, schließlich die Spieler auf der Bank. Und auch verbal gab es später Zärtliches für Hamburgs Neuen: „Ein gutes Spiel, angesichts der wenigen Trainingseinheiten, gerade in den ersten zwanzig Minuten, vielleicht noch nicht ganz gut, aber das kann man auch nicht erwarten“, sagte Jol.

Beim 3:2-Sieg des neuen Tabellenführers über Bayer Leverkusen, nach dem dritten 0:2-Rückstand in dieser Saison, gab der Brasilianer Thiago Neves von Fluminense Rio de Janeiro, Nachfolger des für 14,5 Millionen Euro zu Real Madrid gewechselten Rafael van der Vaart, sein Debüt in roten Hosen. Er spielte, wie van der Vaart, leicht nach rechts versetzt, hinter den Spitzen Paolo Guerrero und Ivica Olic und später Mladen Petric, die alle drei trafen.

Offiziell wird seine Größe mit 182 Zentimetern angegeben, wenn Neves so groß ist, hat man sich bei HSV-Mittelfeldspieler Piotr Trochowski und dessen 169 Zentimeter vertan. Neves ist klein und leicht, und ein paar Mal fiel er zu Boden, weil einer der Bayer-Verteidiger böse knurrte. Dann appellierte Neves durch Blicke und Gesten an Schiedsrichter Helmut Fleischer, doch der erhörte Neves nicht immer. Gegen Knurren, Grätschen, ausgefahrene Ellenbogen, Tritte, Schubsen und Drängeln muss sich Neves, Rückennummer 27, durchsetzen. Er staunte, aber auch die anderen werden staunen. Neves hat scharfe Standards drauf, mindestens Güteklasse van der Vaart. Von Neves getretene Ecken und Freistöße kommen flach und präzise, er schlägt Haken, mit denen die Verteidiger nicht rechnen, und er schlägt Pässe, mit denen manchmal auch die Mitspieler nicht rechnen.

Er wäre gerne noch ein paar Mal mehr angespielt worden und klopfte sich, wenn er frei stand, den Ball aber nicht bekam, frustriert mit beiden Händen seitlich an die Hose. Er ist noch nicht drin in der Mannschaft, die anderen suchen ihn noch nicht. Jol wird das zu ändern wissen, „da können Sie mal ganz unbesorgt sein“, nickt der HSV-Trainer.

ROGER REPPLINGER