theorie und technik : Haben die aschkenasischen Juden ein Intelligenz-Gen?
Gibt es Naturgenies? Die moderne Humanbiologie wird uns mit einer Rassentheorie light noch einiges Kopfzerbrechen bringen
Es ist eine verstörende Eigenart der neuesten Naturwissenschaften: Ihre Erkenntnisse sind eine knifflige Herausforderung an die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Leider eine, die man einerseits nicht mehr so leicht abtun kann (als „biologischen Obskurantismus“ etwa), deren reale Bedeutung sich andererseits auch nicht ganz einfach beurteilen lässt, handelt es sich doch meist um Forschungsergebnisse auf hoch spezialisierten und recht hermetischen wissenschaftlichen Feldern.
Das beste Beispiel für dieses Dilemma ist natürlich die moderne Hirnforschung. Ihre Ergebnisse haben bis in die Kulturwissenschaften hinein wilde Debatten über den „freien Willen“ oder die „Biologie des Geistes“ ausgelöst. Ein anderes weites Feld kontroverser Erkenntnisse ist die Humangenetik, besonders dann, wenn sie von population geneticists auf ganze Bevölkerungsgruppen angewendet wird. Zwar wissen wir seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, dass sich alle Menschen in ihrer genetischen Struktur zu etwa 99 Prozent gleichen – von menschlichen „Rassen“ zu sprechen ist also nicht nur politisch höchst unkorrekt. Allerdings ist die genetische Wissenschaft mittlerweile elaboriert genug, um behaupten zu können, dass auch kleinste Differenzen einen ganz gehörigen Unterschied machen können. Die Prognose sei gewagt: Diese Promille-Zone wird uns noch einiges zum Diskutieren bieten.
So hob in den USA zuletzt eine, nun, nennen wir’s: erstaunliche Debatte darüber an, ob Juden klüger sind als andere Menschen. Die These als solche ist ja nicht ganz neu. Zu den antisemitischen Stereotypen zählt von jeher die Formel vom „vergeistigten Juden“, während im philosemitischen Diskurs das Postulat vom überdurchschnittlichen Beitrag der Juden zum Geistes- und Kulturleben ein Standard ist. Da wird dann auf Freud, Einstein, Mahler verwiesen. 54 Prozent aller Schachweltmeister hatten mindestens ein jüdisches Elternteil. Obwohl Juden nur drei Prozent der amerikanischen Bevölkerung stellen, kommen aus ihren Reihen 25 Prozent der amerikanischen Literaturnobelpreisträger und 40 Prozent der Nobelpreisträger in Naturwissenschaft und Ökonomie.
Bislang erklärte man das mit Kultur: Die jüdische Religion als „Kultur des Buchs“ habe Wissen eben seit je hoch gehalten; während man in nichtjüdischen Gemeinschaften eher erschreckt war, wenn ein Kind sich für die brotlose Literatenlaufbahn entschied, ist man in jüdischen Familien meist stolz auf Verwandtschaft, die sich als Philosoph oder Schriftsteller versucht.
Doch damit nicht genug. Genetiker von der Universität Utah wollen nun nachgewiesen haben, dass die aschkenasischen (also die europäischstämmigen) Juden über ein eigenes „Intelligenz-Gen“ verfügen. Ihre These ist gut vorgetragen: Ein großer Teil der aschkenasischen Juden leidet an einem Gen-Defekt. Das ist zunächst nicht sensationell, sondern kommt häufig vor in Gemeinschaften, die jahrhundertelang eine geschlossene Gemeinschaft bilden (heute würde man „Parallelgesellschaft“ sagen) und fast ausschließlich untereinander heiraten. Dieser Defekt ist für einige Krankheiten verantwortlich, die nur bzw. außergewöhnlich oft bei aschkenasischen Juden auftreten. Die Forscher stellten sich danach die Frage, warum ein solches Gen in der Evolution überlebte, wenn es doch nur Nachteile hat – dies würde ja dem genetischen Basisprinzip des Survival of the fittest widersprechen.
Ihre Hypothese ist, dass, wie bei anderen Gendefekten auch, das mutierte Gen sowohl Vorteile als auch Nachteile hat – und deswegen evolutionär überdauert, weil Erstere überwiegen. Sie glauben, dass dieses Gen für den aschkenasischen Intelligenzvorteil sorgt und für eine Gruppe, die jahrhundertelang in Europa von Grundbesitz und Macht ausgeschlossen war und in Händler- und Bankerberufe gedrängt wurde, ein besonderes Plus darstellte. Wissenschaftlich exakt beweisen lässt sich das nicht, aber es gibt immerhin ein paar Evidenzen, die die These stützen: So quellen die Kliniken, die die Aschkenasi-Krankheiten behandeln, förmlich über von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Rechtsanwälten.
All das klingt verdammt nach hanebüchener Eugenik, ist aber leider wissenschaftlich nicht unprofund. Der britische Economist widmete den „Naturgenies“ eine große Story, die New York Times sowieso, im US-Magazin The New Republic zweifelt man kaum mehr daran, dass die Thesen der Wissenschaftler stimmen – dort fragt man sich schon, was daraus folgt, etwa für das Prinzip von der Gleichheit der Menschen. Und jüdische Autoren sorgen sich um den Nachwuchs: Wenn der sich darauf verlässt, genetisch zu den Klugies zu gehören, dann strengt er sich künftig womöglich nicht mehr an. ROBERT MISIK